An den Grenzen des Journalismus

Eine spannende Diskussionsrunde über die aktuelle Lage der Pressefreiheit.

Foto: Guillaume Herbaut / Agence VU

„Medien im Krieg – Wie steht es um die Pressefreiheit?“ – so lautete das Thema der diesjährigen Podiumsdiskussion, die am 14. März in der Volkshochschule Oldenburg stattfand. Diskussionsteilnehmer:innen waren die ukrainische Journalistin Natalia Vershko, die deutsch-iranische Fotojournalistin Shirin Abedi, der Chefredakteur der Nordwest-Zeitung Ulrich Schönborn und Dr. Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen.

Einleitende Worte gab es vom Geschäftsführer der Volkshochschule Oldenburg Andreas Gögel, der darauf aufmerksam machte, wie fragil das Konzept der Pressefreiheit eigentlich ist. In Deutschland selbstverständlich, sieht es in vielen Teilen der Welt anders aus. Umso wichtiger ist es, darüber zu sprechen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Mediavanti-Geschäftsführer Claus Spitzer-Ewersmann leitete als Moderator durch die Podiumsdiskussion.

Laut Ulrich Schönborn bestimme ein Krieg maßgeblich die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Agenda der Berichterstattung. Als Tageszeitung stehe die NWZ vor zwei Herausforderungen: Zum einen an gesicherte Informationen zu gelangen und zum anderen negative Themen auf Dauer in den Köpfen relevant zu halten. Seine Erfahrung sei nämlich, dass Leser:innen „Ermüdungserscheinungen“ zeigten und sich nicht tagtäglich mit solch emotional belastenden Themen auseinandersetzen möchten.

Herausforderungen der Berichterstattung

Shirin Abedi

Dass Geschehnisse nicht nur von Konsument:innen der Berichterstattung emotional aufgenommen werden, sondern auch von den Berichterstattenden selbst, weiß Shirin Abedi aus eigener Erfahrung: „Es ist total schwierig, als betroffene Person nicht emotional zu werden, sondern nüchtern das Geschehen zu dokumentieren.“ Mit all den Grausamkeiten, die mit Kriegen und Krisen einhergehen, verliere sie ein Stück weit den Glauben und die Hoffnung in die Menschheit und die Medien. „Manche Leben scheinen in der Berichtserstattung mehr wert zu sein als andere“, ist ihre Einschätzung. Aber nicht nur in den Medien, sondern auch in den Redaktionen würde mit zweierlei Maß gemessen. Diversität finde dort bislang kaum statt. Das wiederum beeinflusse die Berichterstattung. Denn: „Was wir im Westen als Wahrheit empfinden, ist vielleicht in anderen Ländern nicht die Wahrheit”, erläutert sie.

Natalia Vershko

Das kann Natalia Vershko bestätigen. Erst seit einem Jahr lebt die ukrainische Journalistin in Deutschland. Recht schnell kam sie durch eine Bekannte zum Jeverschen Wochenblatt, wo sie seitdem arbeitet. „Als Journalistin mit ukrainischen Wurzeln habe ich natürlich ein ganz anderes Interesse und eine ganz andere Blickweise auf den Krieg als meine deutschen Kollegen.“ Ihr Mann sei als Kameramann im Auftrag des ukrainischen Verteidigungsministeriums noch immer im Kriegsgebiet unterwegs. „Er ist aber Soldat, kein Journalist“, betonte Vershko. Seine Eindrücke und Erlebnisse beeinflussten auch ihre Berichterstattung, da er zum Teil ihre Informationsquellen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfe. Dementsprechend groß sei der Einfluss des Krieges auf ihre berufliche Tätigkeit.

Zwischen Wahrheit und Pietät

„Mit dem Ukraine-Konflikt sind Themen wieder relevant geworden, die vorher keine große Rolle gespielt haben“, berichtete Dr. Thomas Köcher. Sicherheits- und Außenpolitik würden ganz anders wahrgenommen und sind mittlerweile feste Bestandteile der politischen Bildung. In dem Zusammenhang sei es wichtig, nicht dem Wunsch nach schnellen Antworten nachzugeben, sondern eine faktisch korrekte Basis an Informationen aufzubauen.

Auf die Frage hin, was die wichtigste Aufgabe der Medien in Krisenzeiten wäre, vertritt Natalia Vershko eine klare Meinung. „Die Arbeit von Journalisten ist unabhängig vom Krieg dieselbe geblieben“, sagte sie. Und zwar: wahrheitsgemäß zu berichten und die eigenen Informationsquellen dahingehend zu überprüfen. Außerdem seien Fingerspitzengefühl und Pietät gefragt, denn es könne nicht alles gefilmt und veröffentlicht werden. „Niemand möchte vom Tod eines Verwandten durch ein Foto in den Medien erfahren“, sagte Vershko und klärte so über mögliche Auswirkungen von ungefiltert veröffentlichtem Foto- und Videomaterial auf.

Manipulation von Meinungen

Schnell kristallisierte sich in der Diskussionsrunde heraus, dass das Finden und Nutzen von faktenbasierten und neutralen Informationsquellen zu den größten Herausforderungen der Berichterstattung in Krisenzeiten gehört. Kriegspropaganda ist eine große Hürde, der sich Journalist:innen stellen und analysieren müssen, um die richtigen von den falschen Nachrichten zu unterscheiden.

Shirin Abedi zeigte die Auswirkungen auf, die so eine Propaganda haben kann: „Ab einem gewissen Punkt zweifeln Menschen daran, wem sie vertrauen und was sie glauben können.” Denn nicht nur Inlandsmedien würden eine verfälschte Realität darstellen und Feindbilder erzeugen, sondern auch ausländische Medien – je nachdem welche politische Interessen und Intentionen diese vertreten.

Ulrich Schönborn

„Es ist eine alte Binsenweisheit aber sie stimmt: Die Wahrheit stirbt zuerst im Krieg“, bestätigte auch Ulrich Schönborn. Die Schwierigkeit, an gesicherte Informationen zu kommen, sei groß – besonders in Ländern, in denen unabhängig von Krisen und Kriegen keine Pressefreiheit herrsche. Objektive und neutrale Informationen aus Russland seien daher schwieriger zu bekommen als aus der Ukraine.

Auswirkung der Medienvielfalt

Durch mehrere Publikumsfragen eröffneten sich noch weitere Themenfelder innerhalb der Diskussionsrunde. So kam der Vorwurf, dass besonders die Tageszeitungen in Corona-Zeiten teilweise nicht korrekte Informationen verbreitet hätten. Als Chefredakteur der Nordwest-Zeitung berichtete Ulrich Schönborn daraufhin von seiner Erfahrung, dass während der Pandemie viele Menschen Berichtserstattung, die nicht der eigenen Meinung entsprach, oft mit schlechtem Journalismus gleichsetzten. Ein negativer Aspekt, der durch die schiere Medienvielfalt in Deutschland entstanden sei.

Dr. Thomas Köcher

Auch Dr. Thomas Köcher sieht ein schwindendes Vertrauen der Menschen in die Medienlandschaft und nimmt dies als besorgniserregend wahr. „Es gibt nicht „Die Medien” oder „Die Politik”, man muss differenzieren und darf nicht alle Akteure über einen Kamm scheren“, stellte er in der Diskussion klar. Es gebe so viele Möglichkeiten in diesem Land, sich umfassend zu informieren, man müsse aber vertrauensvolle und seriöse Quellen erkennen können.

Es war eine spannende Diskussionsrunde im LzO-Forum der Volkshochschule. Es wurde deutlich, dass durch die verschiedenen Krisen und Kriege, die uns seit einigen Jahren begleiten, Gesprächsbedarf und unterschiedliche Meinungen bestehen. Doch genau von so einer kritischen Auseinandersetzung profitiert der Journalismus, denn ohne Meinungsfreiheit gibt es auch keine Pressefreiheit.

V.l.n.r.: Claus Spitzer-Ewersmann, Dr. Thomas Köcher, Natalia Vershko, Ulrich Schönborn, Andreas Gögel & Shirin Abedi

Vanessa Afken

Als Redakteurin ist Vanessa Afken in erster Linie hinter den Kulissen der World-Press-Photo-Ausstellung tätig. Sie verfasst redaktionelle Beiträge für das Magazin und die sozialen Medien, übernimmt organisatorische Aufgaben und steht dem Team in allen Belangen unterstützend zur Seite.

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