Erneut wurde eine politische und zugleich äußerst emotionale Aufnahme zum „Pressebild des Jahres“ gewählt. John Moores Foto schockiert und berührt.
Überrascht war er schon, aber zu Jubelschreien ließ sich John Moore nicht hinreißen. Immerhin wurde der Amerikaner bereits zum vierten Mal mit einem World Press Photo Award ausgezeichnet, diesmal gleich mit der höchsten Ehrung, der als „Pressebild des Jahres“. Der Mann aus New York nahm es gelassen, lieferte aber eine schlüssige Erklärung für die Wahl der Jury: Er denke, „dass dieses Bild die Herzen vieler Menschen so berührt wie meins, weil es eine sehr große Geschichte erzählt“, sagt der 51-Jährige, als er die Siegerplakette von Constantijn Christof Frederik Aschwin van Oranje-Nassau, Prinz der Niederlande, ausgehändigt bekommen hatte.
Sommer 2018: Die USA schotten sich ab
Das Foto mit dem Titel „Crying Girl on the Border“ blickt zurück in den Sommer 2018. Ein Treck mittelamerikanischer Flüchtlinge strebt Richtung USA – in der Hoffnung auf ein besseres Leben als in Guatemala, Nicaragua oder Honduras. In den Vereinigten Staaten indes sind die Migranten unerwünscht, Präsident Trump macht die Grenze zu Mexiko dicht. Wer sie dennoch überquert, wird festgenommen. Kinder werden von ihren Eltern getrennt. Null Toleranz!
John Moore ist mit seiner Kamera dabei, als Sandra Sanchez von US-Grenzern in McAllen, Texas, aufgegriffen wird. Die Beamten durchsuchen die junge Mutter aus Honduras, Töchterchen Yanela darf nicht auf ihrem Arm bleiben. Die Zweijährige beginnt bitterlich zu weinen. Moore kniet sich hin, fotografiert die Szene aus der Perspektive des Mädchens. Er habe sofort die Angst in ihrer Stimme gehört, sagt er später. Kurz danach freut sich die Kleine – sie darf zurück auf Mamas Arm.
Trump twittert „Fake News“ – wie so oft
Kein anderes Foto bringt die Unmenschlichkeit von Präsident Trumps Flüchtlingspolitik so auf den Punkt wie „Crying Girl on the Border“ – auch wenn John Moore deutlich macht, dass Mutter und Kind beieinander geblieben sind. Die Bildunterschrift, die er selbst geschrieben hat, ist eindeutig: „A two-year-old Honduran asylum seeker cries as her mother is searched and detained near the U.S.-Mexico border on June 12, 2018 in McAllen, Texas.“ Das kümmert die Regierung jedoch wenig. Trump twittert – wie so oft – „Fake News“. Aber er lässt es doch wenig später zu, dass Kinder fortan bei ihren Eltern bleiben können.
Ihre Geschichte macht Moores Aufnahme zu einer einzigartigen. Sie zeigt: Die Fotografie kann mächtig sein. Sie kann helfen, den Lauf der Dinge zu ändern. Sie kann zum Umdenken führen. Zugleich wird deutlich, dass Fotografen in der heutigen Zeit leicht die Deutungshoheit über ihre Arbeiten verlieren können. Denn wenn die Bilder erst durch die sozialen Medien gejagt werden, sagt John Moore, „können sie extrem schnell ein Eigenleben entwickeln, und das kann kein Fotograf kontrollieren“.
Überraschend, einzigartig und relevant
Für die Jury des World Press Photo Awards steht schnell fest: Das ist unser Bild des Jahres. Es sei ein „überraschendes, einzigartiges und relevantes Foto“, unterstreicht ihre Vorsitzende Whitney C. Johnson. „Das Bild zeigt eine andere, psychologische Art der Gewalt. Es vermittelt einem sofort so viel über die Story. Und gleichzeitig lässt es einen stark damit verbunden sein“, fügt Jurorin Alice Martins hinzu. Dem ist nichts hinzuzufügen.