Isadora Romero

Bewegtbilder, die bewegen

Im neuausgerichteten Wettbewerb finden nun auch Videoproduktionen Platz

Mit der Neustrukturierung des World-Press-Photo-Wettbewerbs entstand die neue Kategorie „Offenes Format“. Hier finden kreative Projekte ihren Platz, die Fotografie mit anderen Aspekten wie Text oder analoger Bearbeitung verbinden – unter anderem Videoproduktionen, die zuvor im Wettbewerb des Digital Storytelling gekürt wurden. In diesem ersten Jahr des neuen Konzepts wurden neben drei künstlerisch anmutenden Fotoreihen  auch zwei Videos ausgezeichnet. Beide lassen uns ihre Geschichte durch die Augen der Foto- und Videojournalist:innen erleben.

Ein Ausschnitt aus Romeros Video “Blood is a Seed”.

Mit ihrem Video „Blood is a Seed” gewann die Ecuadorianerin Isadora Romero nicht nur die Kategorie Offenes Format für die Region Südamerika, sondern auch die Auszeichnung „Open Format of the Year”. Die freiberuflich tätige Visual Storytellerin beschäftigt sich in ihren Projekten am liebsten mit menschlichen Identitäten und Umweltthemen. Mit „Blood is a Seed“ schafft Isadora Romero eine mitreißende Mischung aus beidem, eine Brücke zwischen ihrer eigenen Vergangenheit und der Geschichte der Landwirtschaft, die ihre Familie geprägt hat.  Im Video erzählt Romero von ihrem Vater, seine und ihre eigenen Erinnerungen geben der Produktion eine persönliche und melancholische Note. Die Künstlerin reist in die Vergangenheit in ihr Heimatdorf Une, Cundinamarca in Kolumbien und geht ihrer Geschichte auf den Grund – dem Land, seinen Ernten und ihrem Großvater und ihrer Urgroßmutter, die „Saatwächter“ waren und verschiedene Arten von Kartoffeln anbauten. Mittlerweile werden nur noch zwei Kartoffelsorten in Une konsumiert. Das Kernthema des Videos: der Rückgang der genetischer Vielfalt. „Blood is a Seed ist ein Multimedia-Video, das sich mit dem Verlust von Erinnerungen beschäftigt“, fasst Romero zusammen.

Die Thematik verbindet Isadora Romero mit ihrer Familie.

Ein Film über eine Kultur

Dafür hat die Jury das Projekt mit dem Open Format Award ausgezeichnet: Es verbindet das persönliche kulturelle Erbe der Fotografin mit dem Schwund Verlust der globalen Agrobiodiversität. Nicht nur die Jury für Südamerika ist davon beeindruckt. Clare Vander Meersch, Vorsitzende der regionalen Jury für Nord- und Mittelamerika, macht deutlich, wie einfach und doch einschneidend diese Verbindung ist: „Der Samen einer Kartoffel, ein Gemüse, das sie mit ihrem Großvater verbindet. Aber das Wissen über diese antike Artenvielfalt ist verloren.“

Das Video besteht aus Digital- und Filmfotografien. Einige von ihnen hat Isadora Romero mit abgelaufenem 35-mm-Film aufgenommen, auf den ihr Vater später etwas gezeichnet hat. Das Gesamtbild des Videos ist düster und melancholisch; das eigens von Romero und ihrem Vater aufgenommene Voice Over in ihrer Muttersprache und die Zeichnungen ihres Vaters machen es sehr persönlich. Obwohl es um die Vergangenheit geht, beschäftigt es sich mit zeitgenössischen Techniken – es spielt mit den Parallelen zwischen genetischen Codes und binären Codes digitaler Fotografien – um dieses alte Wissen für die Zukunft zu bewahren. Die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen persönlichen Erinnerungen und einem globalen Problem, ist einzigartig. Auf dem Youtube-Kanal der World Press Photo Foundation kann man einen Trailer des Films anschauen. In voller Länge wird er in der Ausstellung zu sehen sein.

Ein Film über eine Stadt

Um persönliche Erinnerungen dreht sich auch das Video „Blue Affair“ von Kosuke Okahara, der das Offene Format für die Region Asien gewann. Der experimentelle Dokumentarfilm basiert auf den Erfahrungen des Fotografen bei einem Besuch in Koza (offiziell Okinawa City) in Japan. Das Besondere an dem Projekt ist, dass Okahara die Stadt Koza rein zufällig besuchte und beschloss, sie und ihre Menschen ohne eine Geschichte im Hinterkopf darzustellen. Er besuchte die Stadt mehrmals über einen Zeitraum von drei Jahren und sammelte ganz unvoreingenommen Erfahrungen und Eindrücke mit seiner Kamera. Zuvor hatte er noch nie versucht, „einfach so zu fotografieren“. Okahara projiziert keine Erzählung auf das Projekt, sondern lässt das Projekt erzählen – zufällig, frei heraus und dadurch sehr authentisch.

Koza – eine ganz besondere Stadt für Kosuke Okahara.

Der Kurzfilm beginnt mit Okaharas Stimme aus dem Off: „Dies ist meine Realität. Dies sind meine Erinnerungen an Koza.“ Okahara erzählt in seinem Film davon, wie die Stadt und ihre Menschen ihn in wiederkehrenden Träumen aufsuchen. Sie kämen immer wieder wie die Wellen eines Ozeans; diese Aussage unterstreicht er mit einer rauschenden Tonaufnahme, die die Zuschauenden einerseits ans Meer und an einen Strand, andererseits auch ein wenig in das Gefühl des Einschlafens versetzt. Die Träume bestehen aus Standbildern, die Okahara während seiner Zeit in Koza aufgenommen hat.

Das Leben und die Menschen in der Stadt haben den Fotografen fasziniert.

In einem Voice Over erzählt er die Geschichten hinter den Orten und Menschen. Es geht um Bars, Partys, den Kummer einer Freundin, die sich prostituiert, die intimen Momente eines befreundeten Paares, historische Gebäude, seine Gefühle zu alledem. Die Protagonist:innen kommen auch selbst zu Wort. Besonders auffällig ist die stets wiederkehrende Sequenz: „Ich habe denselben Traum“. So wie die Träume selbst kommt sie immer wieder. Das Video lässt die Betrachtenden die Zusammenhänge zwischen Träumen und gelebter Realität überdenken und bekommt dadurch eine nachdenkliche Grundstimmung. In dem Show-and-Tell-Video der Stiftung erklärt Kosuke Okahara sein Werk genauer.

„Die Erzählung ist so vielschichtig“, sagt Rena Effendi, Vorsitzende der globalen Jury, über „Blood is a Seed“. Diese Aussage trifft ebenso auf „Blue Affair“ zu. Jene Vielschichtigkeit macht diese Kategorie so besonders . Hier trifft klassische Pressefotografie auf eine künstlerische Vorgehensweise, bei der das Medium Bild über den Tellerrand hinausgetragen wird. Beide Filme verknüpfen Stillfotografien, Audio und Bewegtbilder auf eine Art, die die Zuschauenden mitbewegt.