Antonio Faccilongo

Der Kampf für die Familie

Die Story des Jahres zeigt, wie der israelisch-palästinensische Konflikt Familien auf die Probe stellt.

„Habibi“ ist Arabisch und bedeutet „Meine Liebe“. Der italienische Fotograf Antonio Faccilongo dokumentiert in seiner 30-teiligen Serie den israelisch-palästinensischen Konflikt auf sanfte, berührende Weise. Er zeigt, wie palästinensische Frauen entgegen allen Schwierigkeiten versuchen, mit ihren inhaftierten Ehemännern in Kontakt zu bleiben, ihr Familienleben fortzuführen und nicht aufzugeben.

„,Habibi‘ ist die Chronik einer Liebesgeschichte, die in einem der längsten und kompliziertesten zeitgenössischen Konflikte spielt“, erklärt Faccilongo seine Reportage, mit der er im aktuellen World-Press-Photo-Wettbewerb die Auszeichnung „Story des Jahres“ gewann. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation B’Tselem vom Februar 2021 werden derzeit fast 4.200 palästinensische Sicherheitshäftlinge in israelischen Gefängnissen festgehalten. Manche sind für 20 Jahre inhaftiert, manche lebenslänglich. Ihre Frauen, Mütter und Kinder dürfen sie dort nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen besuchen.

Viele treten Reisen von mehreren Stunden an, um ihre Männer, Väter und Söhne alle zwei Wochen für nur 45 Minuten sehen zu können. Zusätzlich müssen sie Einreisebestimmungen, die Vorschriften des Gefängnisses und die der israelischen Sicherheitsbehörde einhalten, um überhaupt Zutritt zu bekommen.

Zehn Minuten – eine Umarmung

Die Besucherinnen dürfen die Gefangenen in der Regel nur durch eine Trennwand sehen und über einen Telefonhörer mit ihnen sprechen. Körperkontakt ist strengstens verboten. Lediglich Kinder unter zehn Jahren haben nach jedem Besuch zehn Minuten Zeit, um ihre Väter zu umarmen. Eine zeitliche Beschränkung, die die Gefängnisverordnung umso kaltherziger erscheinen lässt.

Den Gefangenen wird nicht nur der Kontakt zu ihren Kindern verwehrt. Sie haben keine Möglichkeit, ihre Familienplanung fortzuführen und weitere Kinder zu bekommen. Deswegen haben palästinensische Langzeithäftlinge in den 2000er-Jahren damit begonnen, Sperma aus dem Gefängnis zu schmuggeln – in der Hoffnung, dadurch die Chance auf Nachwuchs zu erhalten.

Schokolade als Versteck

Die Männer verstecken ihre Hoffnung auf ein weiteres Kind in Geschenken an die Kinder, die sie bereits haben – zum Beispiel in leeren Schreibminen, die sie in Schokoriegeln verstecken. Die zehn Minuten, die Vater und Kind miteinander haben, sind die einzige Möglichkeit, Sperma aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Kliniken in Nablus und Gaza helfen den Frauen der Häftlinge mit einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) – kostenlos. „In den letzten zwei Jahren wurden 30 Babys durch IVF empfangen und geboren“, weiß Antonio Faccilongo. „Um die 70 Spermaproben wurden eingefroren – weitere werden folgen.“

Faccilongo legt in seiner Fotoserie den Fokus auf die Menschenrechte, die den Gefangenen und ihren Ehefrauen verweigert werden: ihr Recht auf Reproduktion, ihr Recht auf Familie. „Es werden viel zu oft nur der Krieg und die Konflikte gezeigt, voller Soldaten, Militär und Waffen“, erklärt der Fotograf seine Arbeit. „Mit ,Habibi‘ möchte ich versuchen, die hinter dem Krieg verborgene Realität zu verstehen.“

 

Autorin: Katja Hofmann