World Press Photo of the Year, 1989
Charlie Cole (Newsweek)

Die gescheiterte Revolution

Über das Bild zur chinesischen Demokratiebewegung 1989

Im Jahr 1989 kam es zur Öffnung des „Eisernen Vorhangs“. Der Fall der Berliner Mauer schrieb Weltgeschichte. Bilder der Freude, die auch ihren Weg in den World-Press-Photo-Wettbewerb fanden. Das Siegerfoto zeigt jedoch eine Szene aus China. Hier demonstrierte die Bevölkerung ebenfalls für eine Öffnung der Gesellschaft und einen Weg hin zur Demokratie. Mit unglücklichem Ausgang. Trotzdem verbreitet das ausgewählte Bild Hoffnung auf eine friedlichere Welt.

Klickt man sich durch die Gewinnerbilder des World-Press-Photo-Wettbewerbs von 1955 bis 2018, sieht man viel Leid. Wenn die Aufnahmen nicht gerade Kinderleichen oder verwundete Soldaten zeigen, behandeln die Fotos andere schwere Themen wie die Unterdrückung Homosexueller und anderer Minderheiten oder die Folgen der Weltfinanzkrise. Harter Stoff, zweifellos. Aber eben in der Regel auch ein ungemein wichtiger Blick auf Geschehnisse, die sonst (zu) schnell in Vergessenheit geraten. Zu Beginn des Wettbewerbs in den 1950er Jahren siegte das Bild eines Kriegsheimkehrers, der nach über zehn Jahren seine Tochter wiedersah. Doch die Aufnahme des deutschen Fotografen Helmut Pirath bliebe das einzige Siegerfoto, das zu (Freuden-)Tränen rührt. Seitdem gewänne ausschließlich das Böse – so zumindest ein häufiger Vorwurf. Diese Thematik wird auch bei der Diskussion „Ist heile Welt uns nicht genug?“ (Di, 19. Februar, OLB) behandelt werden.

Über 50 Jahre also kein Pressefoto des Jahres mehr, das beim ersten Anblick Zuversicht ausstrahlt? Nur Aufnahmen voller Trauer und Leid, kein einziges Zeitdokument der Hoffnung? Nicht ganz. Das Pressefoto des Jahres 1989 ist eine Ausnahme. Zu sehen: „Tank Man“. Zu diesem Spitznamen kam ein geheimnisumwobener junger Mann durch sein Handeln am 5. Juni 1989. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking bewies er großen Mut. Die Kommunistische Partei Chinas schlug am Tag zuvor die Reformbewegung brutal nieder. Beim Tian’anmen-Massaker verloren hunderte Menschen in der Stadt ihr Leben. Am nächsten Morgen zog eine Panzerkolonne über die Straße des ewigen Friedens.

Eine kleine Geste mit großer Wirkung

Während mit Panzern weiter auf die wenigen, übrig gebliebenen Demonstranten geschossen wurde, betrat „Tank Man“ die Straße. Er stellte sich den mächtigen Maschinen in den Weg, ließ sie nicht ausweichen. Und tatsächlich kamen die Panzer zum Stehen. Aufgereiht standen sie vor dem schlaksig wirkenden Mann, der in der einen Hand eine Jacke, in der anderen eine Einkaufstasche trug. Diese Szene hielt Charlie Cole fest. Sein Foto wurde zum Pressefoto des Jahres gewählt. Später sagte Cole, dass „Tank Man“ derjenige war, der das Bild gemacht, die Situation zum Leben erweckt habe. „Ich war nur einer der Fotografen. Und es war mir eine Ehre, dort gewesen zu sein.“

Was im Anschluss passiert, ist auf Video dokumentiert: „Tank Man“ klettert auf seinen Namensgeber und spricht einige Worte mit der Besatzung. Was er sagte, ist bis heute unbekannt. Dann springt er vom Panzer, stellt sich ein letztes Mal dem anfahrenden Monstrum in den Weg und wird von vier Personen in die Menge gezogen. Was dann geschieht, ist unklar. Ähnlich wie bei den fiktiven Figuren Spiderman und Batman weiß die Öffentlichkeit bis heute nicht, wer „Tank Man“ war und was aus ihm geworden ist. Die Spekulationen reichen von direkter Erschießung bis hin zu einer Geheimexistenz.

Foto lebt von spärlichen Informationen

Auch wegen dieser Hintergrundgeschichte ist das Bild von Charlie Cole so berühmt. Es hat etwas Mythenhaftes: Wo kam „Tank Man“ so plötzlich her, wo ging er hin? Was sagte er zu der Besatzung des Panzers? Warum konnte er so lange unbehelligt die Panzer blockieren? Wenn diese Fragen einfach zu beantworten wären, würde sich vermutlich kaum jemand für das Foto interessieren. Man stelle sich vor, er wäre von den Soldaten umgehend festgenommen worden. Darüber hätte niemand gesprochen, weil eine Verhaftung nach den vorangegangenen Ereignissen nicht überrascht hätte.

Der „Tank Man“ wäre genauso mutig gewesen, doch kaum jemanden hätte seine Tat nachhaltig berührt. Vor allem wegen der Begleitumstände also spricht heute noch die halbe Welt über ein Foto, das in China selbst nahezu niemand kennt. Die Demokratiebewegung und das Massaker wurden und werden von der Regierung konsequent totgeschwiegen.

“Ich war nur einer der Fotografen. Und es war mir eine Ehre, dort gewesen zu sein.“ – Charlie Cole

Zurück zum Anfang: Auf den ersten Blick macht Coles preisgekröntes Foto durchaus gute Laune und verbreitet Hoffnung. Da bringt jemand – bewaffnet mit einer Plastiktüte – eine ganze Reihe an Panzern zum Stehen. Welch ikonisches Motiv. Allerdings ist diese Szene nur ein kurzer Ausschnitt. Denn anders als die Revolutionen in der DDR und den osteuropäischen Ländern führten die Aufstände in China eben nicht zum Erfolg. Stattdessen entschied sich das Regime für den „Pekinger Weg“ und ging rücksichtslos gegen die eigenen Landsleute vor. Das heroische Bild zeigt folglich nicht mehr als einen kurzen, triumphalen Augenblick des Widerstands, in einem eigentlich schon verlorenen Kampf. Trotzdem bleibt „Tank Man“ für immer ein Hoffnungsträger.

Autor: Tobias Snippe.