Bram Janssen

Die Lichter sind aus

Die Fotoreihe „Cinema of Kabul“ von Bram Janssen ist ein Porträt des Stillstands

Im Kino Ariana in Kabul reihen sich leere Sitze aneinander. Seitdem die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernommen haben, bleiben die Lichter im Saal aus. Einzig das fast 20-köpfige Team erscheint Tag für Tag am Arbeitsplatz, das endgültige Urteil erwartend. Die Reportage des niederländischen Fotojournalisten Bram Janssen zeigt auf ruhige, einfühlsame Weise eine der vielen Lücken, die die Taliban im Land hinterlassen haben.

Die Auswirkungen der Geschehnisse auf das alltägliche Leben der Menschen in Afghanistan sind zentrales Thema der Fotoreihe. Tag für Tag erscheinen die Mitarbeiter des Ariana im Kino und setzen damit ein Zeichen: Sie wollen ihre Arbeit fortsetzen. Bram Janssen porträtiert in seiner Fotoreihe diejenigen, die mit einfachen Mitteln ihren Einsatz für die Verteidigung der Kunst- und Kulturszene Kabuls zeigen. Was früher einmal ihr Arbeitsalltag war, ist nun Form des Widerstands. 

Rahmatullah Ezati, Filmvorführer des Ariana, ist überzeugt, dass der Verlust der Kinoszene im Land schwerwiegende Folgen mit sich bringen würde: „Wenn ein Land keine Kinos hat, gibt es auch keine Kultur mehr. Durch das Kino sehen wir andere Teile der Welt, wie Europa, Amerika oder Indien.“ Die Doppelseitigkeit von Hoffnung – auf Arbeit, auf Bezahlung, auf eine Zukunft für Filmvorführungen – und Besorgnis wird durch die Abwesenheit der Besucher:innen auf den Fotos besonders deutlich. Das Kino als Ort der Begegnung existiert zurzeit nicht mehr. Die Aufnahmen halten eine Stille fest, die eigentlich gar nicht da sein sollte. Sie sind aber auch Zeugnis des Durchhaltevermögens der Mitarbeiter im Ariana.

Doch auch die Vergangenheit des Kinos ist präsent: Das in den 1960er-Jahren entstandene Filmtheater wurde 1992 im Bürgerkrieg schwer beschädigt. Während ihrer ersten Regentschaft von 1996 bis 2001 haben die Taliban das Filmschauen untersagt und bestehende Filmarchive zum großen Teil zerstört. Das Gebäude blieb also eine Ruine. 2004 wurde es schließlich mit Hilfe des französischen Vereins „Un Cinema pour Kabul“ wiederbelebt. Hierbei ging es um die Finanzierung der Renovierung des Hauses, damit es wieder einen Ort gibt, an dem internationale Filme präsentiert werden können. Fortan wurde das Programm nicht mehr nur für ein männliches Publikum kuratiert. Der Fokus lag auch darauf, ein sicherer Ort für Frauen jeden Alters zu werden, um sich über die Filmkunst auszutauschen.  

 

 

In der Schwebe

Der Blick auf die Vergangenheit wirft einige offene Fragen auf. Darf das Ariana wieder öffnen? Wer darf es dann noch besuchen, und welche Filme dürfen gezeigt werden? Es bleibt auch die Frage, ob die Taliban dieses Mal eine ähnlich radikale Auslegung der Scharia im Land durchsetzen wollen. Sie stehen unter erheblich mehr öffentlichen Druck als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Folge: Bis entschieden wird, ob und inwiefern wirklich Änderungen im Vergleich zur letzten Regierungsphase der Taliban vorgenommen werden, befindet sich das ganze Land, und damit auch das Ariana, im Stillstand.

Viele der Aufnahmen zeigen die Mitarbeiter an ihren Arbeitsplätzen, doch es gibt eine wichtige Ausnahme: Asita Ferdous, die Leiterin und erste Frau in dieser Position, darf das Kino nicht einmal mehr betreten. Sie soll nicht mit den übrigen, ausschließlich männlichen Angestellten zusammenarbeiten, bis bestimmt wird, welche Gesetze nun gelten. Bram Janssen fotografiert sie deshalb in ihrem Wohnzimmer. Während der Rest des Teams seine Zeit im Kino verbringt, bleibt Ferdous, die auch Künstlerin und Bildhauerin ist, zuhause und zeichnet, um in Übung zu bleiben. Ausstellen darf sie ihre Kunst nicht mehr. Bevor sie Direktorin des Ariana wurde, war sie Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Kabul. Im Ariana war es ihre Mission, den Ort zugänglicher für Frauen zu machen. Was Asita Ferdous durch ihren jahrelangen feministischen Einsatz erreicht hat, steht durch die Machtübernahme der Taliban nun in höchster Gefahr.

 

Ineinander verschränkt

Ihre Geschichte macht mehr als deutlich, warum Kunst und Kultur immer auch politisch sind. Diesen Eindruck hat auch Tanzim Wahab, Vorsitzender der Wettbewerbsjury für die Region Asien: „Die Fotoreihe erzählt so viel darüber, warum Kultur untrennbar von Konflikten ist. Wir sehen in den Fotos den Konflikt, aber wir können durch diese Bilder auch besser verstehen, inwiefern Kultur Teil der Politik und der Volksbewegung ist.“  

Bram Janssen vermittelt mit seiner Fotoreihe eine klare Botschaft: Auch Kunst und Kultur fallen Kriegen und Konflikten zum Opfer. Der Niederländer selbst berichtet im Interview mit WePresent, der Redaktionsplattform des Online-Dienstleisters WeTransfer, dass seine Fotoreihe auch auf Kritik gestoßen ist. „Die Leute fragen mich, warum ich ein Kino fotografiere, wenn Menschen in Krankenhäusern sterben. Aber die eine Sache schließt die andere nicht aus. Das alles gehört zu einem großen Gesamtbild vom Leben in Afghanistan.“ Janssen betont: „Je mehr Geschichten wir erzählen, desto detaillierter wird das Bild, das wir malen.“