Die Vielfalt des digitalen Geschichtenerzählens

Die erste Dekade des Digital Storytelling Contests ist vorüber. Wie ist der Stand der Dinge?

Foto: FRONTLINE

Vor zehn Jahren hat die World Press Photo Foundation den Digital Storytelling Contest in ihr Programm genommen, um den gestiegenen Stellenwert  des visuellen Geschichtenerzählens zu würdigen. Waren es bei der ersten Auflage des Wettbewerbs 2011 noch 42 Nominierungen kamen 2019 bereits 300 Einsendungen zusammen. Geändert haben sich auch die Titel der Auszeichnungen. Inzwischen werden das „Interaktiv des Jahres“ und das „Online-Video des Jahres“ prämiert.

Im Online-Magazin Witness, das von der Foundation herausgegeben wird, äußern sich ehemalige Preisträger und Jurymitglieder zu den Entwicklungen, die das Digital Storytelling in den letzten zehn Jahren genommen hat.

Francesca Trianni, Videoproduzentin, TIME
In den letzten Jahren habe ich Journalisten gesehen, die versucht haben, die Reichweite ihres Geschichtenerzählens zu vergrößern. Einige haben Storys auf Social-Media-Plattformen wie Instagram veröffentlicht, andere haben Geschichten durch Animationen erzählt oder etwa Textnachrichten in ihre Berichterstattung aufgenommen. Ich denke, die Zukunft des digitalen Geschichtenerzählens wird darin bestehen, die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zu ziehen.

Die Leser wünschen sich einen wirklichen Journalismus, der kraftvoll, schön und originell ist. Ich denke, wir werden immer mehr Nachrichtenredaktionen sehen, die in überzeugenden, qualitativ hochwertigen Journalismus investieren, dessen Zusammenstellung viel Zeit erfordert. Wir haben gesehen, dass die Leser dieses Investitionsniveau wirklich schätzen – und sie wollen es online in Form von digitalem Storytelling.

2011, als ich noch in der Journalistenschule war, habe ich „Afrikaner Blood“ gesehen. Ich war voller Ehrfurcht. Zu dieser Zeit kombinierte noch niemand Videos, Fotos und Audio so überzeugend. Diese Geschichte war so reichhaltig und bewegend, dass ich in den folgenden Jahren darüber nachdachte. Sie half mir, die Grenzen meiner eigenen Arbeit zu überschreiten.


Alexandre Brachet, Produzent und CEO von Upian
In der digitalen Welt ist ein Blick in die Vergangenheit wie eine archäologische Ausgrabung. Kreative Inhalte sind heutzutage stark von der Verbreitung betroffen. Als wir „Prison Valley“ und „Alma, A Tale of Violence“ machten, gab es in diesem Moment Raum für Kreativität. Heute dreht sich alles um den Vertrieb, und ehrlich gesagt versteht niemand ganz genau, was los ist. Es ist alles sehr verschwommen.

„Prison Valley“ hat eine ganze Generation von Journalisten dazu inspiriert, Webdokumentationen zu drehen. Zehn Jahre später bleibt es ein Bezugspunkt. Auch wenn wir Webdokumentationen nicht mehr auf die gleiche Weise erstellen, muss für diese Vision des Internets als Ort der Interaktion und der Qualität von Inhalten entschieden gekämpft werden. “


Zoeann Murphy, Videojournalistin, The Washington Post:
In den letzten zehn Jahren hat sich das digitale Geschichtenerzählen dramatisch verändert. Mit fortschreitender Technologie ist es uns gelungen, mit visuellem Journalismus online immer interessanter zu werden. Dies ist vor allem der Zusammenarbeit mit Designern, Programmierern und Datenjournalisten zu verdanken. Am meisten fällt mir auf, wie vielfältig das digitale Storytelling sein kann. Über integrierte Funktionen wie Apple News haben wir jetzt einfachen Zugriff auf Online-Dokumentationen in Langform sowie auf Kurznachrichtenvideos auf unseren Handys.

Wir erzählen Kurzgeschichten über soziale Medien und erstellen umfangreiche interaktive Inhalte, mit denen der Betrachter tief in komplizierte Ermittlungsgeschichten eintauchen kann. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten und ich denke, es wird einfach weiter wachsen.

Als besonders innovativ ist mir im Digital Storytelling Contest „The Displaced“ von der New York Times aufgefallen. Das Stück scheute nicht den experimentellen Ansatz, ein 360-VR-Video, zu verwenden, um eine wichtige Geschichte zu erzählen, die unglaublich ernst war. Das Projekt informiert uns, dass im Jahr 2016 weltweit fast 60 Millionen Menschen durch Krieg und Verfolgung aus ihren Häusern vertrieben wurden – mehr als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg.


Loc Dao, Strategieberater und Mitbegründer von NFB Interactive & CBC Radio 3
Das Geschichtenerzählen war schon immer von der Technologie des Tages abhängig. Es mag um das Lagerfeuer herum begonnen haben, aber als die Menschen anfingen, Teile von sich selbst einzufangen, begann die Beziehung zur Technologie. Das mobile Zeitalter war eindeutig der größte Sprung in letzter Zeit, obwohl es ohne das Internet nicht möglich gewesen wäre. Das Mobiltelefon ebnete den Weg für Veränderungen im Lebensstil, demokratisierte den Zugang zum Internet und ermöglichte soziale Medien, die App-Wirtschaft, VR und AR. Das ist eine ziemlich unglaubliche Leistung, wenn man ein Stück berührungsempfindliches Glas, einen Haufen Sensoren, ein App-Ökosystem und eine Internetverbindung verwendet.

Die World-Press-Photo-Ausstellung Oldenburg zeigt erneut die besten Produktionen des Digital Storytelling Contests. Zu sehen sind unter anderem die beiden Siegerproduktionen The Last Generation und The Legacy of the ‚Zero Tolerance‘ Policy: Traumatized Children With No Access to Treatment.

Claus Spitzer-Ewersmann

Ohne Claus Spitzer-Ewersmann würde die World-Press-Photo-Ausstellung in Oldenburg wohl kaum Station machen. Der Agenturchef gab 2015 den Anstoß, die Bilderschau in seine Heimatstadt zu holen und freut sich noch immer, dass die Idee auf fruchtbaren Boden fiel und weiterhin auf großen Zuspruch beim Publikum stößt.

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