„Es braucht emotionalisierende Bilder.“

Eine Podiumsdiskussion zur Frage, was Pressefotos zeigen dürfen

Es ging durch die Welt, das Bild des dreijährigen syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi, dessen Leichnam im Herbst 2015 an der türkischen Küste angespült wurde. Redaktionen diskutierten teils hitzig, ob das Foto publiziert werden dürfe oder nicht. Doch woran lässt sich diese Entscheidung festmachen – an der Art und Weise, wie ein Toter dargestellt wird? In welchem Maße die Authentizität überprüfbar ist? Oder gar am zeitlichen Rahmen, der einer Redaktion für die Entscheidung zur Verfügung steht?

Mit der Frage, was Pressebilder zeigen dürfen, setzten sich am gestrigen Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion im Oldenburger Kulturzentrum PFL vier Teilnehmer intensiv und durchaus kontrovers auseinander: Peter-Matthias Gaede, früherer Chefredakteur des Magazins „Geo“, Rolf Seelheim, Chefredakteur der Nordwest-Zeitung (NWZ), Michael Kappeler, dpa-Cheffotograf, und Dr. Ralph Hennings, evangelischer Pastor.

Moderator Dr. Rainer Lisowski gab Impulse mit ausgewählten Motiven, darunter auch die oben erwähnte Abbildung von Aylan Kurdi und ein Motiv des vor seinem Tod sichtlich zugerichteten Muhammad al-Gaddafi, früherer Diktator Libyens. Nicht nur der Pressekodex gebe vor, dass auf eine unangemessen sensationelle Darstellung zu verzichten sei, wie NWZ-Chefredakteur Seelheim vorbrachte. Ebenso gebiete es der Respekt vor den Toten, eine möglichst würdevolle Darstellung zu wählen, war der Standpunkt von Pastor Hennings. „Oft ist genau das möglich – es gibt alternatives Bildmaterial“, wusste Fotojournalist Kappeler aus jahrzehntelanger Erfahrung zu berichten.

„Aber“, wandte der Ex-Geo-Chefredakteur Gaede ein, „wenn man diesen Respekt dem kleinen Jungen zuspricht, hätte man ihn dann nicht auch vielen anderen abgebildeten Toten gewähren müssen? Und dürfte man dann lebende Menschen, die hungern oder verletzt sind, nicht sogar noch viel weniger zeigen?“ Zudem brauche es emotionalisierende Bilder, so Gaede.

„Manchmal ist es wirksamer, in ein Gesicht zu sehen als in eine Statistik.

„Das macht unseren Fokus kleiner und zeigt so die Bedrohtheit des Lebens“, sagte Hennings zustimmend. Klar müsse jedoch stets sein, betonte Kappeler, dass der erste Auftrag des Fotojournalismus laute, mit einer Aufnahme journalistische Informationen und damit den Kontext des Bildes zu transportieren. „Dabei ist die Kraft des Wirkens der Antrieb, sich auch in gefährliche Situationen zu begeben.“

„Eine Redaktion ist in jedem Fall gehalten, den Einzelfall zu betrachten – und trifft dabei auch falsche Entscheidungen.“

Einig waren sich alle Diskutanten beim Foto von al-Gaddafi. Zu voyeuristisch sei das Bild, stellte etwa Kappeler heraus. Und es hätte der Berichterstattung nichts hinzugefügt, sondern lediglich „etwas unnötig brutal Exzessives“ dargestellt, pflichtete Gaede bei.

Im Laufe der Diskussion wurde deutlich, dass die Abwägung, ob ein Bild publiziert werden soll, von vielen Faktoren und Erwägungen abhängt. Zwar sei die Überprüfbarkeit der Authentizität ein ausschlaggebender Punkt. „Dennoch gibt es keine Regeln“, zeigte sich Seelheim überzeugt.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei die zeitliche Dimension. Während eine Tageszeitung wie die NWZ aufgrund des Aktualitätsanspruchs wenig Spielraum hat, kann sich ein Monatsmagazin wie Geo durchaus mehr Bedenkzeit nehmen. Außerdem könne sich in manchen Fällen rückblickend eine Entscheidung als falsch oder richtig erweisen, wie Moderator Lisowski bei seinem Resümee am Schluss anführte. Als Beispiel führte Seelheim das Bild des CDU-Politikers Uwe Barschel an, der 1987 tot in einer Hotelbadewanne aufgefunden wurde: „Es wäre richtig gewesen, es damals in der NWZ zu drucken, bin ich heute überzeugt.“

Übrigens: Symbolkräftig für das Thema war die gespaltene Reaktion des Publikums bei der Frage, ob es selbst das Foto des syrischen Flüchtlingskindes veröffentlicht hätte – ein Drittel der 120 Gäste hob die Hand für “ja”, ein Drittel für “nein”, ein weiteres Drittel enthielt sich.