Instagrammer? Nur inszenierte Persönlichkeiten und schillernder Schein! Deren Inhalte? Reine Oberflächlichkeiten. Wer dieses Themenfeld so abhandelt, wird der Arbeit von Florian Müller nicht gerecht. Denn der vielfach ausgezeichnete Fotojournalist bildet das Phänomen und vor allem die Menschen dahinter in seiner Reihe „Hashtags unplugged“ in all seiner Tiefe ab. Denn ja, diese Tiefe ist da. Wie nicht zuletzt seine philosophischen Antworten im – passend gewählten Format – Hashtag-Interview beweisen. Um einen Vorgeschmack zu geben: „Vielleicht ist das eigentliche Phänomen unserer Zeit, dass die Welt in ihrer Vielschichtigkeit sichtbarer wird.“

#BlickhinterdieKulissen
Die Kamera ist immer auch eine Legitimation genauer hinzuschauen. Beim Blick hinter die Kulissen sehen wir aber zunächst nur eine andere Oberfläche – eine weitere Ebene von dem, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen. Einblicke hinter die Kulissen, vielleicht in verschlossene Welten zu bekommen bedeutet auch immer, eine Nähe hergestellt zu haben. Das allein ist schon viel wert! Zu recht galt Robert Capas Ausspruch: „If your pictures aren’t good enough, you’re not close enough.“ als Leitsatz im Fotojournalismus.
Ich denke, dass wir heute ein Thema aber auch auf anderem Wege erschließen müssen, um zu verstehen, was wir hinter einer Fassade eigentlich sehen können, um das wiederum durch unsere Bilder für andere erfahrbar zu machen. Nur so können wir ein Thema auch in einen größeren Zusammenhang einordnen und damit einen sinnvollen Beitrag zu einer Diskussion leisten. Deshalb finde ich die Abwandlung des berühmten Capa Zitats von Tod Papageorge auch zeitgemäßer: „If your pictures aren’t good enough, you don’t read enough.“
#PhänomenunsererZeit
#fakenews? #postfaktisch? #neuland? Oder einfach: #zeitgeist? Schwer zu fassen, aber: Das geht vorbei!
Vielleicht ist das eigentliche Phänomen unserer Zeit, dass die Welt in ihrer Vielschichtigkeit sichtbarer wird. Sie ist nicht notwendigerweise komplexer oder komplizierter geworden als sie es schon vorher war, aber durch das Internet und seine Nutzung werden ihre vielen Graustufen und Farbnuancen für uns alle offensichtlicher. Wenn wir genau hinschauen, sehen wir eine Parallelität von Wirklichkeiten oder nebeneinanderstehende Wahrhaftigkeiten. Da kann man schon manchmal den Überblick verlieren, denn wir brauchen eine gewisse Ordnung um verstehen zu können. Vielleicht müssen wir einfach unseren Kompass etwas nachjustieren, um uns wieder zurechtzufinden.

#Schein
Der Schein glänzt nur an der Oberfläche. Instagram bietet davon reichlich. Mittlerweile hinterfragen immer mehr User das kuratierte Ich und die geschönte Welt des Selbstmarketings derer, denen sie folgen. Das ist erfreulich, da das der Forderung nach „alphabetisierten“ Konsumenten immer näher kommt. Allerdings bleiben nach wie vor genug andere, die sich von der ästhetisierten Instagram-Welt blenden lassen.
Richtig tragisch wird es, wenn sich die Leute von ihrem eigenen Schein blenden lassen und gar nicht merken, wie weit ihre Selbstwahrnehmung von der Perspektive anderer auf sie abweicht. Denn dann drohen mitunter schmerzhafte Kollisionen mit der anderen, der Offline-Welt. Auch das musste ich während meiner Arbeit miterleben.
#Metaebenen
Zwischen den Zeilen zu lesen, also ein Bild auch über seinen Bildrahmen hinaus kritisch zu erfassen, funktioniert immer nur in einem bestimmten Kontext. Welche Zwischenebenen ein Bild vermittelt, ist abhängig davon, wer ein Bild aus welchem Grund und auf welche Art und Weise macht, wo es in welchem Zusammenhang erscheint und wie es rezipiert wird. Ziemlich uneindeutig, so ein Foto. Dabei sagt es doch mehr als tausend Worte. Nur ganz Wesentliches vermag es manchmal nicht zu sagen. Deswegen brauchen wir in der journalistischen Fotografie auch Bildunterschriften, die eine bestimmte Lesart unserer Bilder vorschlagen, um nicht doch missverstanden zu werden.

#onlineabereinsam
Das Bild vom Global Village, dem Ort, an dem jeder jeden irgendwie kennt, ist ziemlich irreführend. Das ständige Buhlen um Aufmerksamkeit und das ewige Vergleichen mit den immer beneidenswerten anderen auf den Marktplätzen der digitalen Eitelkeiten entspricht eher dem, was Georg Simmel vor über hundert Jahren als Verstädterung des Geisteslebens beschrieben hat: die Herausbildung einer Ellenbogengesellschaft von blasierten Egomanen. Das wäre eine ziemlich kulturpessimistische Lesart.
Denn bei aller Kritik haben soziale Netzwerke eine sinnvolle gesellschaftliche Funktion, indem sich dort Menschen – mehr oder weniger – frei austauschen und darüber ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln. Insbesondere wenn das zu einem positiven Selbstbild oder Selbstverständnis führt ist das bereichernd und stärkt Gemeinschaften. Ohne soziale Netzwerke hätten wir viele wichtige Debatten der letzten Zeit nicht in dem Ausmaß geführt. Man denke an #metoo. Außerdem – und das fällt bei aller Schwarzmalerei oft einfach unter den Tisch – macht die Teilnahme an der Kommunikation einfach Spaß!
Es gibt aber auch Menschen, denen diese Teilnahme einfach nicht glückt oder die dem Druck der digitalen Ellenbogengesellschaft nicht standhalten. Das wird spätestens in dem Moment problematisch, in dem die digitale Welt die andere, die Welt da draußen, bereits verdrängt hat. Soziale Netzwerke sollten meiner Meinung nach immer nur eine Ergänzung zur „echten“ Welt sein, aber nie ein Ersatz, denn sonst steht man am Ende womöglich wirklich allein da!
Am 26. Februar erzählt Florian Müller in einem Vortrag im Lambertus-Saal der Lambertikirche von seiner Fotoreportage und beantwortet Fragen aus dem Publikum – die Veranstaltung ist kostenlos.