Bilderflut im Netz

Warum brauchen wir gerade jetzt einen guten Fotojournalismus? Das fragten sich unsere Gäste am Dienstag, dem 28. Februar, im TGO Oldenburg. Im Rahmenprogramm der World Press Photo-Ausstellung diskutierten Lutz Fischmann, Lars Reckermann und Sebastian Neumann rund um das Thema Pressefotografie in den sozialen Medien. Moderiert wurde das Ganze von Rainer Lisowski. Perspektivenwechsel, Datenkontrolle und Vertrauen – wir fassen kurz zusammen, was gesagt wurde.

Moderator Rainer Lisowski leitete das Gespräch mit einer These zum erst kürzlich gewählten World Press Photo 17 ein. Es zeigt die Erschießung des russischen Botschafters Andrey Karlov in einer Galerie in Ankara. Als aktuelles Siegerfoto ist es zwar nicht Teil der Ausstellung, die momentan im Schloss gezeigt wird, bot aber die Grundlage für die ersten Statements der Gäste. Lisowski warf eine häufig gebrachte Kritik in den Raum: „Das Foto zeigt die Selbstinszenierung eines Mörders. Es hätte nie veröffentlicht werden sollen.“ Ziemlich schnell wurde klar: Die Gäste haben eine sehr ähnliche Meinung. Sie alle sind nicht unbedingt gegen die Veröffentlichung selbst, jedoch sind sie sich darüber einig, dass das Bild nicht den World Press Photo Award hätte gewinnen sollen. Eine „Heroisierung” nannte es der NWZ-Chefredakteur Lars Reckermann. Lutz Fischmann stimmte dem zu: Dem Mörder müsse man nicht zusätzlich noch ein Podium zur Selbstdarstellung bieten. Er bezeichnete das Siegerbild als „banale Darstellung, das keine wirkliche Aussage vertritt.” Sebastian Neumann stellte konkreter die Kontextfrage. Er meint: „Das Bild allein sagt wenig aus. Es ergibt ohne Beschreibung einfach keinen richtigen Sinn und ist pietätlos.”

Der Abend ging danach weiter mit Fragen zum Thema Produzent und Rezipient der momentanen Bilderflut. Hier findet ihr ein paar der gemachten Aussagen.

Lars Reckermann (Chefredakteur der Nordwest-Zeitung)

„Wann geben wir eine Meinung frei und wann zeigen wir die Wahrheit? Wir brauchen immer mindestens zwei Nachrichten, um eine Szene zu verifizieren. Wir brauchen eine Art ‘Marke’, der wir vertrauen und die möglichst den Fakt festhält – ohne unsere Emotionen, unsere eigene Meinung und Einschränkung zu transportieren. Gerade deshalb finde ich die Idee eines Making-ofs unglaublich spannend.“

Sebastian Neumann (Social-Media-Experte) 

„Fotojournalismus muss Orientierung bieten. Durch den großen Bilderpool auf verschiedensten Plattformen scheint diese immer mehr zu fehlen. Auf der anderen Seite wirken sich soziale Medien aber auch als Mechanismen der Korrektur von außen aus. Sie können andere Seiten zeigen und einen Perspektivwechsel hervorbringen. Um das Vertrauen der Leser zu erhalten und zu wahren bräuchte es einen Datenjournalismus – jemanden, der alle Quellen prüfen kann. Was der Endkonsument letztlich aufnimmt, entscheidet er selbst.“

Lutz Fischmann (Geschäftfsführer des Fotografenverbands Freelens)

„Menschen interessieren sich für Geschichten. Aber ohne Bilder wird keine Geschichte gelesen. Sie sind für die Aufmerksamkeitsspanne wichtiger denn je. Großhändler, wie die dpa, bieten ausgewählte Bilder für den Allgemeingeschmack an. Da sind die Fotos zwar weitestgehend verifizierbar, aber wenn man eigene Leute hat, bekommt man noch ganz andere Eindrücke: eine eigene Handschrift – kein normales Brötchen, sondern eine Haferdinkelmischung mit Mohn darauf. Man braucht verantwortungsvolle Fotografen, eine selektive Wahrnehmung und das Hintergrundwissen, dass die Anwesenheit von Journalisten allein schon die Szene inszeniert.“

 

Dr. Rainer Lisowski (Hochschule Bremen)

Moderator Rainer Lisowski fasste den Abend mit einigen Stichpunkten zusammen: „Es geht um Anerkennung, Transparenz, Bekanntheit, um den Mut, auch andere Dinge zu zeigen – und um die Leidenschaft und das Themeninteresse der Fotografen. Das entscheidet darüber, wie befriedigend ein Foto – sowohl für den Macher, als auch für den Rezipienten – wird. Gleichzeitig ist dem Kontext und den ‘neuen Türstehern’ durch Social-Media-Plattformen eine große Rolle zuzuschreiben. Wichtig ist dabei die Möglichkeit der Verifizierung, die allerdings oft schlichtweg schwer umsetzbar ist.
Bilder sind wichtig, weil sie zur gesellschaftlichen Debatte anregen. Und dafür brauchen sie einen Kontext und Erklärungen.”

 

Gastautor:in

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