“Heimat ist bei den Menschen, die mir nahestehen”

Interview mit Shirin Abedi, Gast der Sonntagsmatinee am 16. Februar 2020

Die Deutsch-Iranerin Shirin Abedi zeigt in ihren Fotografien das Leben im Iran. Bei der Sonntagsmatinee „May I have this Dance?“ wird sie einen Einblick in ihre aktuelle Arbeit geben: Im Iran, in dem Tanzen in der Öffentlichkeit verboten ist, hat sie eine Ballettgruppe begleitet und dokumentiert, unter welch schwierigen Bedingungen das Ensemble arbeitet. Wir haben sie vorab gefragt, was sie als Fotografin bewegt und was ihre Arbeit prägt.

Frage: In Ihren Fotoprojekten „Diyar“ und „Charchoub“ geht es vor allem um Identität, Kultur und Weiblichkeit. Warum gerade diese Themen?

Shirin Abedi: Als junge Erwachsene hatte ich eine Identitätskrise. Ich fragte mich, wer ich bin, wo meine Heimat ist und für welche Werte ich einstehe. Ich schämte mich sehr viele Jahre für mein Anderssein: für die Haare an meinen Armen, für die Präsenz meiner Familie oder dafür, dass Brokkoli nicht mein Leibgericht war. Früher wäre es für mich undenkbar gewesen, Körperbehaarung anzusprechen. Je mehr Zeit ich im Iran verbrachte, desto besser verstand ich, dass ich eigentlich ganz normal bin. Es ist schwer, sich von Themen zu lösen, die sich das ganze Leben in einen manifestiert haben. Dadurch konnte ich meine Aufmerksamkeit nichts anderem widmen als diesen Themen.

Sie waren 2016 für mehrere Monate in Teheran. Welche Erfahrungen haben Sie während Ihres Aufenthalts gemacht?

Nach einem halben Jahr stellte ich fest, dass ich nicht mehr von fremden Menschen eingeladen werde. Es zeigte mir, dass ich keine Touristin mehr war, sondern zur Einheimischen wurde. Außerdem hatte ich die Gelegenheit, meiner Familie im Iran nahe zu kommen. Das sind für mich die kostbarsten Ziele, die ich mit meinem Aufenthalt erreicht habe.

Hat diese Zeit auch Ihr Verständnis von Weiblichkeit verändert?

Die Mehrheit der Männer, denen ich begegnet bin, war der Ansicht, ich könne viele Dinge aufgrund meines Geschlechts nicht machen. Bei der Beerdigung eines Märtyrers haben mich die Trauernden erinnert, dass es kein Ort für Mädchen sei. Manchmal dachte ich, sie haben Recht und ich sei zu schwach, um meine Träume zu erreichen. Aus diesen Erfahrungen ging ich selbstbewusster und stärker als Feministin heraus.

Was bedeutet Heimat für Sie?

Meine Heimat ist bei den Menschen, die mir nahestehen. Geografisch liegt sie in Teheran und Hannover – Städte, in denen ich gewachsen bin und viel Zeit verbracht habe.

Fühlen Sie sich manchmal fremd?

Wider Erwarten fühle ich mich manchmal unter Iranern fremd, weil ich viele deutsche Charaktereigenschaften habe.

Aktuell erleben wir in Deutschland und Europa ein Erstarken rechter und fremdenfeindlicher Bewegungen. Beeinflusst das Ihre Arbeit als Fotografin?

Meine Arbeit wurde bisher davon nicht direkt beeinflusst. Dennoch wächst in mir die Angst vor einem fremdenfeindlichen, nationalistischen Deutschland. Die Hemmschwelle für rassistische Äußerungen ist heute gesunken. Es gab zwar immer Rassismus, aber heute ist sie mehr salonfähig geworden.

Als Letztes: Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Identität bedeutet für mich…

Diversität.


Shirin Abedi wurde 1996 in Teheran geboren. Mit sieben Jahren immigrierte sie nach Deutschland. Seitdem lebt sie zwischen zwei Kulturen. Ihr Interesse an Fotojournalismus begann bereits in ihren frühen Teenagerjahren. 2016 zog sie für ein Jahr nach Teheran, um ihr Herkunftsland besser kennenzulernen. Dort entstanden auch viele ihrer Fotoprojekte. Zurück in Europa setzte sie ihre fotografischen Entdeckungen fort. Ihr Hauptinteresse gilt dabei vor allem den Themen Weiblichkeit, Identität sowie Alltagshelden und ihre Kämpfe.

Was gerade das Tanzen mit Identität zu tun hat, wird Shirin Abedi am 16. Februar um 11 Uhr bei der Sonntagsmatinee in der Buchhandlung Isensee verraten. Der Eintritt kostet 3 Euro, dafür werden Croissant, Kaffee und Limo gereicht.