Foto: Frank van Beek, Hollandse Hoogte
Foto: Frank van Beek, Hollandse Hoogte

Hinter Statistiken stehen Schicksale

Wie World-Press-Photo-Preisträger John Moore den Zahlen eine Stimme gibt

„Das World Press Photo des Jahres muss überraschend sein. Einzigartig. Relevant. Es muss im Gedächtnis bleiben“, so die Jury des Wettbewerbs. Diese Anforderungen erfüllt das Siegerbild von John Moore. Er fotografierte die zweijährige Yanela Sanchez, die weinend an der mexikanisch-texanischen Grenze steht, während ihre Mutter von Grenzbeamten durchsucht wird. Das Bild ging um die Welt. Aber wer ist der Mann hinter der Kamera, der bei der Preisverleihung in Amsterdam für seine Arbeit ausgezeichnet wurde?

Der 51-jährige US-Amerikaner John Moore arbeitet als Fotokorrespondent für die renommierte Agentur Getty Images. Seine langjährige Arbeit führte ihn in 65 Länder auf sechs Kontinenten – von Nicaragua über Südafrika bis nach Pakistan. Nach den Anschlägen am 11. September 2001 berichtete Moore ausführlich über die Kriege in Afghanistan und im Irak. Seine Bilder wurden vielfach ausgezeichnet – viermal allein von der World Press Photo Foundation. Im Jahr 2005 wählte die Jury in Amsterdam seine Aufnahme eines Isolationshäftlings im Gefängnis von Abu Ghraib aus. Als Teil eines Fototeams der Associated Press erhielt John Moore für dieses und weitere Bilder aus Bagdad im selben Jahr außerdem den Pulitzer Preis.

John Moore, Getty Images
„Crying Girl on the Border“, World Press Photo of the Year 2019

Immer am Ort des Geschehens

Drei Jahre später war Moore als einziger US-amerikanischer Fotojournalist vor Ort, als eine Bombe die pakistanische Premierministerin Benazir Bhutto tötete. Geistesgegenwärtig hielt er den Moment der Explosion im Bild fest. „Es vergingen 18 Sekunden zwischen meinem ersten Bild, auf dem Bhutto aus ihrem Auto heraus noch der Menge zuwinkt, und der Explosion“, berichtete der Fotograf später. Für seinen bedingungslosen Einsatz wurde er mit seiner zweiten World-Press-Photo-Auszeichnung geehrt.

Nach seiner Rückkehr in die USA im Jahr 2008 widmete Moore sich besonders der Dokumentation der US-amerikanischen Einwanderungspolitik. In seinem jüngst veröffentlichten Buch Undocumented: Immigration and the Militarization of the United-States-Mexico-Border erzählt er von zehn Jahren fotojournalistischer Arbeit in US- und mittelamerikanischen Grenzgebieten. „Ich möchte den öffentlichen Blick auf das Thema Einwanderung menschlicher gestalten“, erklärt Moore seine Motivation. „Die Öffentlichkeit neigt dazu, Flucht und Migration in Statistiken abzuhandeln. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass hinter jeder Zahl immer auch unzählige Einzelschicksale stecken.“

Der Statistik ein Gesicht geben

John Moore hat es sich in seiner jahrzehntelangen Arbeit als Fotojournalist in aller Welt zur Aufgabe gemacht, den Finger in die Wunde zu legen. 2012 war es seine Reportage über die amerikanische Immobilienkrise, die die Jury der World Press Photo Foundation zum dritten Mal überzeugte. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits vier Millionen US-Amerikaner durch Zwangsräumungen obdachlos geworden. Moore begleitete einzelne Familien und gab dieser nüchternen Zahl dadurch ein Gesicht. Im selben Jahr war Moore erneut Finalist für den Pulitzer Preis, als er im Auftrag von Getty Images über den Arabischen Frühling berichtete. 2015 erhielt er als Fotograf des Jahres den Sony World Photography Award für seine Dokumentation der Ebola-Epidemie in Liberia.

Es sind vielfältige Themen, die John Moore durch seine unermüdliche Arbeit an die Öffentlichkeit bringt. Von Anfang an dokumentierte er Ereignisse, die die Welt bewegen – und schafft es mit jedem Bild, den Menschen hinter den Zahlen eine Stimme zu geben. Dank seines Einsatzes kennt die ganze Welt nun auch das Schicksal von Yanela Sanchez, dem kleinen Mädchen auf dem Weltpressefoto des Jahres 2019.