Michael Braunschädel

Krieg im Hintergrund

Beim Urlaub in der Ukraine begegnete Michael Braunschädel der anhaltende Konflikt auf unerwartete Weise.

Michael Braunschädel wollte eigentlich nur Urlaub machen. Zwei Wochen verbrachte er im April 2019 in der Ukraine. Seine Kamera ließ der Fotograf aber nicht zu Hause, „irgendwie nackt“ wäre er sonst gewesen. Aus den Aufnahmen entstand „Intermezzo“, ein Projekt der Widersprüche.

In den ersten Tagen in der Ukraine fielen Michael Braunschädel die Kontraste auf. Freundliche Menschen, Straßenmusikerinnen und -musiker, Shoppingmeilen, Arbeit, Sport und Kultur: pulsierendes Leben, alles irgendwie „ganz normal“. Daneben fand er einen düsteren Touch: „Bilder von Toten an den Wänden, Gedenkstätten mit Blumen und Kerzen mitten in der Stadt, Fahnen, eroberte Waffen, trauernde Menschen. Prinzipiell befindet sich jede Gesellschaft in Widersprüchen, aber hier sind sie offensichtlicher“.

Leise und nebenbei

Er meint eine Gesellschaft, die sich im Krieg befindet. Seit der Annexion der Krim 2014 ist die Ukraine in kriegerische Auseinandersetzungen mit Russland verwickelt. Schätzungsweise 13.000 Menschen, Soldaten und Zivilisten, sind seitdem gestorben. Dieser Krieg scheint wenig präsent, die Flaniermeilen in der Hauptstadt Kiew und der Hafenstadt Odessa bieten einen Anblick wie in jeder anderen europäischen Stadt. Doch Michael Braunschädel wurde nach und nach bewusst, dass der Krieg bei jeder Gelegenheit leise im Hintergrund mitschwingt. So zeigt er ihn auch auf seinen Fotos: nebenbei, erst auf den zweiten Blick offensichtlich.

Das liegt auch daran, dass es für das Projekt „Intermezzo“ keine vorangehende Recherche gab. Das Projekt war gewissermaßen oberflächlich, in dem Sinne, dass er nicht vorher festgelegt hatte, mit wem er sich treffen würde oder welche Orte er besuchen möchte. „Eine neutrale Darstellung war mir wichtig“, erzählt der Frankfurter. „Ich wollte keine überdramatisierten Bilder erstellen, sondern wählte eine zurückhaltende Bildsprache, die dem Betrachter Raum und Möglichkeit gibt, sich ein eigenes Bild zu machen“.

Anfänge und Kontinuitäten

Michael Braunschädel ist erfahrener Fotograf. Eine Happy-Smile-Kamera von Aldi war seine erste, eine einfache 5-Megapixel-Kamera, die seine Mutter herumliegen hatte. Als er 17 war, hatte er damit schon rund 500.000 Fotos geschossen. Zu dieser Zeit war der junge Michael leidenschaftlicher Skateboarder und begeisterter Fan des Szene-Fotografen Thomas Gentsch. „Die Vorstellung, das zu studieren oder als Fotograf zu leben, erschien mir aber zum damaligen Zeitpunkt eher unmöglich“. Also zog es den gebürtigen Koblenzer nach Frankfurt, wo er sich mit verschiedenen Jobs über Wasser hielt und ein Studium der Sozialen Arbeit begann. „Nebenbei habe ich aber immer fotografiert und diese Begeisterung ist nie weg gegangen.“ Deswegen steht besagte erste Kamera auch immer noch bei ihm im Regal.

Auf sie folgte eine analoge, mit der Braunschädel seine Freundinnen und Freunde verewigte. Das Portraitprojekt entwickelte sich zu einem Buch, über zehn Jahre hinweg, mit dem Titel „Wo sind die töricht, süßen Lieder vom ewig strahlenden Glück?“ Es zeigt die Höhen und Tiefen der Freunde, des eigenen Lebens und der gemeinsamen Umgebung. Inzwischen ist es sein Lieblingsprojekt: „Die Bilder zeigen die Menschen, die mir wichtig sind, frei von jeglicher Idee dahinter. Sie sind ehrlich und unabhängig.“

Nähe und Distanz

Man merkt: Porträtfotografie liegt Braunschädel am Herzen. Für ihn ist sie die herausforderndste Art der Fotografie: „Es geht dabei immer um Respekt, Neugierde, Verantwortung und Vertrauen. Man geht zu einem fremden Menschen, oft in dessen privaten Bereich, hat eine bestimmte Menge Zeit und will ein für beide befriedigendes Ergebnis erzielen. Dabei gibt es viele Nuancen: Wie sehe ich den Menschen? Wie zeigt er sich mir? Inwieweit muss ich Vorgaben des Auftraggebers erfüllen und wo zeige ich mich als Fotograf? Wie schaffe ich es, dass mein Gegenüber sich wohl fühlt und sein Fotogesicht ablegt? Die Kamera ist in dem Fall wunderbar, weil sie eine Distanz schafft und gleichzeitig alle Distanzierung aufheben kann.“

Dieses Motto begleitete den 32-Jährigen auch während seiner Zeit beim Weser-Kurier. Zwei Jahre lang war er im Auftrag der Bremer Tageszeitung im Landkreis Diepholz unterwegs. Währenddessen entwickelte sich der Wunsch nach etwas Tiefergreifendem, „denn im Tagesjournalismus verlieren die Bilder oftmals schon nach einem Tag ihre Gültigkeit“. So entstand quasi nebenbei eine Porträtserie über die Menschen der Region. Der Fotograf unterstreicht, dass spannende Ziele zuweilen direkt vor der Haustür, wenn nicht sogar in den eigenen vier Wänden liegen können. Und: „Man kann und sollte sich manchmal auch von einer spontanen Idee mitreißen lassen.“ Was daraus entstehen kann, zeigt Michael Braunschädels Projekt „Intermezzo“ eindrücklich.

Autorin: Theresa Wunderlich

 

Michael Braunschädel wird voraussichtlich am 11. April in Oldenburg zu Gast sein und sein Projekt „Intermezzo“ im Rahmen einer Sonntagsmatinee vorstellen, entweder im Bistro Stresemann’s in der Jugendherberge oder online.