Mit der Konzeptänderung des Wettbewerbs in diesem Jahr wurde eine neue Kategorie ins Leben gerufen: Das Offene Format tritt an die Stelle des „Digital Storytelling”. Es bietet einen Raum für andersartige, kreative Fotoprojekte und Videoproduktionen. Die diesjährigen offenen Formate betonen besonders den künstlerischen Aspekt der Fotografie.

Die Fotografin Rehab Eldalil gewann mit ihrem Werk „Die Sehnsucht des Fremden, dem der Weg abgeschnitten wurde“ die Kategorie Offenes Format der Region Afrika. Ihre Fotos zeigen das Leben der beduinischen Völker, die seit Jahrhunderten auf der Sinai-Halbinsel ansässig sind. Nicht weniger lang haben sie mit Diskriminierung, Stereotypisierung und Falschdarstellungen in den Medien zu kämpfen. Eldalil ließ auf Stoff gedruckte Porträts der Beduinenfrauen von ihnen selbst besticken. Die Männer trugen mit handgeschriebenen Gedichten zu ihrem Projekt bei. Seit 15 Jahren ist die Fotografin selbst aktives Mitglied der Gemeinschaft. Es ist ein Herzensprojekt für sie.

„Mit meiner Arbeit fordere ich traditionelle dokumentarische Rahmenbedingungen heraus. Ich entwickle Methoden, um die fotografierten Menschen einzubeziehen, damit sie Teil des kreativen Prozesses werden und Handlungsspielraum haben“, erklärt Rehab Eldalil auf ihrer Webseite. „Ich glaube, dass Fotografie und visuelles Geschichtenerzählen die Kraft haben, Gemeinschaften sowohl zu verbinden als auch zu spalten. Ich möchte meine Arbeit nutzen, um mich für soziale Gerechtigkeit und Verständnis einzusetzen.“ Mit ihrem Werk spielt sie mit den essenziellen Gefühlen von Identität und Zugehörigkeit, lässt die Betrachtenden das Wesentliche hinterfragen. Eldalil stellt die beduinische Gemeinschaft nicht nur dar, sondern lässt sie durch die Fotografie und durch die Kunst selbst sprechen.
Die Blüte der Zeit: der rote Berg von Guerrero

Ein ähnlich ausdrucksstarkes Werk stammt von Yael Martínez, der den Kategoriesieg in der Region Nord- und Mittelamerika davontrug. Die kunstvollen Bilder machen ihrem Titel „Die Blüte der Zeit: der rote Berg von Guerrero“ alle Ehre. Die rote Farbe des Titelbilds steht unter anderem für Drogengewalt und das Blut, das damit einhergeht, denn Mexiko ist der drittgrößte Opiumproduzent der Welt; die Hälfte der Produktion findet im zweitärmsten Bundesstaat Guerrero statt. Aber die Drogenwirtschaft hat das Leben der Menschen dort verändert. Kleinere, lokale landwirtschaftliche Betriebe kommen mit dem Anbau von Mais oder Kaffee nicht mehr an die ökonomische Relevanz von Opium heran und sind gezwungen, nach anderen Einnahmequellen zu suchen.

Martínez hat die Fotos mit Kratzern und Nadelstichen versehen, sie von hinten beleuchtet und anschließend erneut fotografiert. Die Beschädigung der Bilder soll die Beschädigung und das Anritzen der Mohnblumen darstellen, wodurch Opium letztendlich gewonnen wird. Aber sie steht auch für die Zerstörung der Sozialstruktur und das Leid der Menschen in Guerrero, das hindurchscheinende Licht für ihre Stärke und Hoffnung. „Die Dualität wurde durch die Bearbeitung wirklich gut eingefangen“, findet Clare Vander Meersch, Vorsitzende der regionalen Jury für Nord- und Mittelamerika. Ähnlich wie Rehab Eldalil hat Martínez durch die physische Nachbearbeitung seiner Bilder ihre Aussage verstärkt.
Der Wille, sich zu erinnern
Mit den Gegensätzen Trauma und Hoffnung, Zerstören und wieder Verschönern, Schmerz und Wiedergutmachung arbeitet auch Charinthorn Rachurutchata. Sie kombinierte ihre Fotos von den Protesten für die Demokratie in Thailand in den letzten zwei Jahren mit Archivbildern des Massakers an Studierenden der Thammasat-Universität in Bangkok von 1976. Damit schlägt sie eine Brücke zwischen dieser historischen Tragödie und dem aktuellen Widerstand gegen die thailändische Monarchie – Unterdrückung, Gewalt und den Kampf dagegen. Dargestellt hat Rachurutchata diesen Kampf, indem sie die Fotos zerrissen und anschließend mit Lack und Goldpulver wieder zusammengefügt hat. Diese japanische Methode nennt sich Kintsugi und wird eigentlich für die Reparatur von zerbrochener Keramik verwendet. Kaputtes soll nicht einfach hingenommen und weggeworfen, sondern etwas Neues, Schöneres daraus geschaffen werden.

Die Fotos symbolisieren die Widerstandskraft und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft trotz einer Vergangenheit, die ebenso zerrissen und zerstört ist wie die Fotos. Der Titel „Der Wille, sich zu erinnern“ macht es deutlich – Rachurutchata möchte, dass nicht vergessen wird, was geschehen ist. Stattdessen soll in Zukunft daraus gelernt werden.

Alle drei Werke haben eines gemeinsam: Sie wurden analog bearbeitet und anschließend wieder digitalisiert. Diese besondere Form von Kreativität findet im Offenen Format einen ganz neuen Platz. Der Grund für die Veränderung ist das neue Wettbewerbskonzept, das durch seine Regionalisierung und die formatbasierten Kategorien den Fokus auf konventionelle Fotografie, die sogenannte Standfotografie, legt. „Mit der neuen Kategorie bietet der Wettbewerb trotzdem noch die Möglichkeit, Arbeiten in Kombination mit Video, Animation, Grafik, Illustration, Ton oder Text einzureichen. Der visuelle Hauptinhalt des Projekts muss jedoch Standfotografie sein“, erklärt Wettbewerbsleiterin Anna Lena Mehr.
Die Aufgabe der Pressefotografie ist es, Geschichten zu erzählen, die erzählt werden müssen, Ereignisse ans Licht zu bringen und die Menschen zu zeigen, über die berichtet wird. Im Offenen Format konnten diese besonderen Menschen teilweise selbst mitentscheiden, wie sie repräsentiert werden wollen. Auch wenn die Fotografie weiterhin im Mittelpunkt steht, spielt hier zusätzlich auch die Kunst in eine größere Rolle als zuvor.