Andreas Burmann

Zwischen Smartphone und Social Media

Brauchen wir World Press Photo heute noch?

Mein Smartphone leuchtet auf – Schneesturm an der US-Ostküste, Wahlergebnis in Portugal, LKW-Explosion in Ghana. Heute sind wir so global vernetzt, dass binnen weniger Minuten eine Nachricht um die Welt gehen kann. Das Smartphone in den Händen, das Weltgeschehen vor den Augen. Oder etwa nicht?

Als der World-Press-Photo-Wettbewerb 1955 das erste Mal stattfand, gab es noch keine digitalen Fotos. Von Smartphone und Internet ganz zu schweigen. Dadurch war die Anzahl der Nachrichtenquellen begrenzt. Die zugehörige Ausstellung zeigte Hintergrundberichte und die Reportagen waren ausführlicher. Ihr Stellenwert damals: ein relevanter Beitrag, der das Wissen aller Besucher:innen enorm bereicherte.

Heute, 67 Jahre später, leben wir in einem digitalen Zeitalter. Mit dem gesellschaftlichen und technischen Wandel haben sich auch Berichterstattung, Nachrichtenkonsum und Fotografie verändert. Die Frage, die sich stellt: Ist die Ausstellung heute überhaupt noch wichtig?

Von Fake News und Pressefreiheit

Apps, News-Ticker und Soziale Medien – viele Menschen nutzen das Internet als primäre Quelle. Das betrifft auch ihren Nachrichtenkonsum. Das Problem dabei: knapp gehaltene Kurzbeiträge und Eilmeldungen, das Teilen von Nachrichten sowie unübersichtliche Mengen an Informationen führen vermehrt zu Fake News.

Medien können niemals über alles berichten, was auf der Welt passiert. Es wird immer aus einem bestimmten Blickwinkel heraus eine gewisse Auswahl an Nachrichten präsentiert. Doch wer entscheidet eigentlich, was wichtig ist und was nicht? Und welche Interessen werden dabei verfolgt?

Dass Pressefreiheit in vielen Ländern alles andere als selbstverständlich ist, zeigt die Jahresbilanz der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen: Im vergangenen Jahr wurden 46 Medienschaffende getötet, am 1. Dezember 2021 saßen weltweit 4.800 Journalist:innen aufgrund ihrer Arbeit im Gefängnis. In fast drei Viertel der Länder weltweit ist die Pressefreiheit bedeutend eingeschränkt. Wissen ist Macht – und genau das fürchten die Menschen, die dieses Recht – nicht selten gewaltsam – unterdrücken.

Ehrlicher Fotojournalismus

Die World-Press-Photo-Stiftung engagiert sich für Pressefreiheit und erstklassigen Fotojournalismus. Innerhalb des Wettbewerbs gibt es einen Ethikkodex, an den sich die Pressefotograf:innen halten müssen. Fotos sollen visuelle Dokumente sein, die das Erlebte korrekt darstellen. Teil des Auswahlprozesses ist es daher, die Fotos auf Spuren von nachträglicher Bearbeitung oder Manipulation zu prüfen. Erlaubt ist nur eine Veränderung des Kontrasts oder der Farbsättigung, nicht des Inhalts. Es dürfen keine Elemente hinzugefügt oder weggeschnitten werden. So wird qualitativer und vertrauenswürdiger Fotojournalismus gesichert.

Im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung haben sich neue Möglichkeiten und Herausforderungen im Bereich der medialen Berichterstattung ergeben. An Bedeutung hat die Ausstellung dabei aber nicht verloren: Inmitten vieler Fake News ist ehrlicher Fotojournalismus wichtiger denn je. Jeder Mensch interpretiert Nachrichten anders, sieht sie durch eine Brille der eigenen kulturellen Werte und des persönlichen Kontexts. Wir sollten uns darüber im Klaren sein und immer auch andere Perspektiven in Betracht ziehen. Auch heute zeigen die Bilder in der Ausstellung häufig einen ganz anderen Blick auf die großen Schlagzeilen. Und nicht selten staunen Besucher:innen über die vielen abgebildeten Nachrichten, von denen sie noch nie etwas gehört haben.

Was ist ein Foto heute noch wert?

Von analog zu digital bis hin zum Smartphone – Fotografie hat sich verändert. Fotos werden vermehrt zu Massen- und Zufallsprodukten, verlieren dabei an Wert. Das Internet und die sozialen Medien tragen einen erheblichen Teil dazu bei. Welchen Wert geben wir einem einzelnen Foto noch, wenn wir durch Instagram scrollen? Wie lange blicken wir dabei auf ein Bild? Und wie schnell gerät es in unserer schnelllebigen, von Informationen überfüllten Gesellschaft wieder in Vergessenheit?

Ein Film mit einer begrenzten Anzahl an Bildern – das war analoge Fotografie. Der Weg bis hin zum fertigen Foto war wesentlich länger. Pressefotograf:innen, die in Ländern mit stark eingeschränkter Pressefreiheit unterwegs waren, mussten hoffen, dass ihre Filme nicht beschlagnahmt und zerstört werden. Auch heute müssen Fotograf:innen in manchen Ländern noch um ihre Kameras und Speicherkarten fürchten.

Heutzutage ist immer jemand vor Ort und hält die Kamera – nicht selten in Form eines Smartphones – auf das Geschehen. Zahlreiche Fotos und Videos können mithilfe der digitalen Möglichkeiten in Sekundenschnelle verschickt werden. Da viele relevante Nachrichten nicht vorhersehbar und planbar sind, hat das auch Vorteile. Zu analogen Zeiten kam es häufig vor, dass der Film voll war oder niemand eine Kamera dabeihatte. Wie viele relevante Ereignisse  sind passiert, die nicht festgehalten wurden?

Fotos tragen einen großen Teil dazu bei, dass wichtige Themen in der Gesellschaft geteilt und erinnert werden können. Es bleibt unsere Aufgabe, nicht zuzulassen, dass der Wert eines Fotos verfällt. Durch die Ausstellung gehen und sich bewusst die Zeit nehmen, um jedes Bild zu betrachten und auf sich wirken zu lassen – das gibt nicht nur den Fotos den Wert, den sie verdient haben, sondern schenkt auch den Fotojournalist:innen die Anerkennung, die ihnen zusteht.

„Fotojournalisten geben uns etwas, das wir nie aus erster Hand erfahren würden“ – so betont Neil Burgess, Juryvorsitzender im Jahr 1997, die Wichtigkeit des Fotojournalismus. Auch heute zwischen Smartphone und Schnelllebigkeit hat sich das nicht verändert.