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“Schönheit und Tragik in einem Bild”

Interview mit Museumsdirektor Prof. Dr. Rainer Stamm, Teil 2

Schon seit seiner Jugend verfolgt Prof. Dr. Rainer Stamm, Direktor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte, begeistert die Arbeit der World Press Photo Foundation. Umso glücklicher ist er, dass das Oldenburger Schloss am 17. Februar 2018 bereits zum dritten Mal zur vorübergehenden Heimat der weltbesten Pressefotos des Jahres wird.

Welche Fotos gefallen Ihnen am besten?

Das kann und will ich nicht auf eine Gattung beziehen. So wie es auch bei den Urteilen der Jury sichtbar wird, gibt es manchmal ganz merkwürdige Verdichtungen von Ästhetik, einem guten Blick und einem Thema, das uns alle betrifft. Das sieht man auch sehr gut am Plakatmotiv: Das Bild der Schildkröte aus der Sektion Naturfotografie – auch das ist an sich ein wackliger Begriff – ist absolut faszinierend, weil es die ganze Schönheit und die ganze Tragik des Themas in einem Foto zusammenbindet. Das ist etwas, was große Kunst ausmacht und auch in der Antike schon als Zeichen für ein bedeutendes Kunstwerk gesehen wurde.

Im ersten Teil unseres Gesprächs versuchte Professor Stamm bereits, das Erfolgsrezept der World Press Photos in Oldenburg zu entschlüsseln, und erzählte uns, was ihm an der Ausstellung am meisten gefällt.

Und was sagen Sie zum Siegerbild?

Ich finde die Entscheidung der Jury absolut richtig. Es ist ein herausragendes Zeitdokument, aber die Pathosformel ist in diesem Bild so stark, dass man die flanierenden Betrachterinnen und Betrachter davor schützen muss. Als ich vor ein paar Tagen am Amsterdamer Flughafen war, fiel mir eine große Werbekampagne zum 60. Jubiläum der World Press Photo Foundation ins Auge. Auch an diesem Ort, an dem täglich zigtausende Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen und Nationen unterwegs sind, war Burhan Ozbilicis Siegerfoto nicht vertreten. Man sieht daran, wie achtsam mit diesem Bild umgegangen wird. Die Entscheidung, es in Oldenburg nicht als Plakatmotiv zu nutzen, ist also keinesfalls verkniffen oder feige.

Dieser achtsame Umgang mit Kunst ist aber sicherlich nicht erst in jüngster Vergangenheit ein Thema, oder?

Richtig, es gibt in der Geschichte auch eine Reihe anderer Beispiele. Wir haben in Deutschland das merkwürdige Phänomen – historisch gesehen fast das Glück – dass es so gut wie keine bedeutende, qualitativ hochstehende Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus gibt. Das meiste ist belanglos oder kitschig. Es gibt aber ein paar Ausnahmen, unter anderem die Filme von Leni Riefenstahl. Da ist im weitesten Sinne dieselbe Entscheidung getroffen worden: Sie sind nationales Kulturgut, dürfen aber trotzdem nicht unkommentiert gezeigt werden, weil man sich der Propagandawirkung der Riefenstahl-Filme in ihrer Ästhetik nicht entziehen kann. Das trifft auch auf das Siegerbild von Burhan Ozbilici zu. Es braucht niemand Angst davor haben, aber es sollte als Einzelbild auf keinen Fall unkommentiert in der Öffentlichkeit stehen.

 

Wie schätzen Sie die Zukunft der World Press Photo-Ausstellung ein – in der Welt und in Oldenburg?

Mich treibt dabei nicht so sehr die Frage um, was die Ausstellung politisch und gesellschaftlich für die Welt bedeutet, sondern wie sie sich medial verwandelt. Die Gründer der World Press Photo-Ausstellung haben nicht an Farbfotos gedacht, auch die Digitalfotografie war damals nicht abzusehen. Jetzt ist sogar das bewegte Bild Teil der Ausstellung. Der faszinierende Wandel dieser Ausstellung wird nicht im gesellschaftlichen Bereich liegen, sondern eher im medialen. Für Oldenburg wünsche ich mir, dass wir weiterhin jedes Jahr die allerjüngste Zeitgeschichte und die allerjüngste Ästhetik in unser Museum holen können, denn es ist die Ausstellung im Jahr, in der sich am meisten unterhalten wird. Es sind so viele unterschiedliche Menschen miteinander im Gespräch – Familien, Großeltern mit Enkeln, Schulklassen – und man sieht, dass in dieser Zeit das Museum zu einem lebendigen Ort der Begegnung, Kommunikation und Auseinandersetzung wird.