Die Giftmüllhalde von Agbogbloshie in Ghana

Auf den Spuren des Elektroschrotts

Kai Löffelbein ist für sein Buch mit der Kamera zur Endstation westlicher Elektronik gereist.

Kai Löffelbein hat Müllplätze in Ghana, China und Indien fotografiert – und die Menschen, die dort arbeiten. Was für uns Schrott ist, hat hier einen Wert und die Arbeiter nehmen Undenkbares auf sich, um damit Geld verdienen zu können. 

Kai Löffelbein brennt für den Kontakt zu Menschen und für Lebenswelten, die nicht seine eigenen sind. Deshalb ist er Fotograf mit Leib und Seele. „Die Fotografie ist wie eine Eintrittskarte in diese Lebenswelten“, erklärt er. „Mit meiner Kamera kann ich darin eintauchen und sie abbilden.“

Wie viele Fotograf:innen hat Löffelbein als Jugendlicher mit der analogen Fotografie begonnen. Mit der Canon AE-1 Spiegelreflexkamera von seinem Vater fotografierte er alles, was ihm vor die Linse kam: Freunde und Verwandte, Natur, Theater. Sein erster beruflicher Schritt führte ihn jedoch in ein Studium der Politikwissenschaften nach Berlin. „Das ist neben dem Fotografieren mein zweites großes Interesse, vor allem internationale Politik. Ich habe aber ganz schnell gemerkt, dass ich kein Büromensch bin, und deshalb noch Dokumentar- und Reportagefotografie in Hannover studiert“, erzählt der gebürtige Siegener.

Heute ist er ein renommierter Fotograf und kann einige Preise und Auszeichnungen verbuchen, unter anderem den Henri-Nannen-Preis im Jahr 2012. Löffelbeins Hauptinteresse gilt den sozio-ökonomischen und ökologischen Auswirkungen der Digitalisierung, der Globalisierung und des Konsums in der westlichen Welt. Insbesondere aber möchte er abbilden, welchen Einfluss dies alles auf die Menschen hat. Und zwar nicht nur auf die Konsumierenden, sondern auch auf diejenigen, die am anderen Ende der Wertschöpfungskette stehen.

Die Folgen des Konsums

Verantwortungsloses Konsumverhalten ist eines der größten Probleme der globalisierten Welt. Mit einem Foto aus seiner Reportage „Unser Müll in Afrika“ gewann Kai Löffelbein 2011 den Wettbewerb um das UNICEF Foto des Jahres. Zu diesem Zeitpunkt war er noch Student. „Diese Auszeichnung hat meine Karriere sehr geprägt“, betont er, „vor allem jedoch das Projekt, mit dem ich sie gewonnen habe.“ Denn seine Reise zu der Giftmüllhalde von Agbogbloshie in Ghana war die erste von dreien, die er in seinem Buch „Ctrl-X. A topography of e-waste“ darstellt. Hier zertrümmern junge Männer Computer, Fernseher und Co. und weiden sie aus. Dann verbrennen sie die Geräte, um an die wertvollen Metalle wie Blei, Chrom, Zink oder Nickel zu gelangen. Giftige Dämpfe wabern über den Müllplatz, ebenso giftige Ablagerungen gelangen in den Boden. Das ist sowohl für die Arbeiter als auch für die Umwelt höchst schädlich.

Die Giftmüllhalde von Agbogbloshie in Ghana

„Die Giftmüll-Situation in Ghana hat mich so beeinflusst und nachhaltig beschäftigt, dass ich das Thema weiter untersuchen wollte“, erinnert sich der 41-Jährige. „Deshalb bin ich nach Guiyu in China und Neu-Delhi in Indien gereist.“ Es ist ein großes, aber schwierig nachzuweisendes Netz von Seewegen, über die Elektroschrott verschifft wird und an deren Ende Menschen damit Geld verdienen. „Ich habe natürlich vorher recherchiert, aber persönlich dann dort zu sein, ist noch einmal etwas ganz anderes“, berichtet der Fotograf.

Müll ist nicht gleich Müll

Durch das dort Gesehene und Erlebte hat er sein eigenes Konsumverhalten hinterfragt. „Natürlich habe ich beruflich viel mit Elektronik zu tun, aber auch privat kennen wir das alle: Ein Leben ohne Handy, Laptop und Tablet ist nicht mehr vorstellbar. Und wenn etwas kaputt geht, wird es weggeworfen und neu gekauft“, macht Löffelbein, der heute mit seiner Familie in Hannover lebt, deutlich. „Ctrl-X“ macht deutlich, wie sich die Definition von Wert in verschiedenen Regionen der Welt unterscheidet. Im Westen bedeutet Müll gleich Wertlosigkeit; Wegwerfen ist günstiger als Reparieren. „Dass wir das aus einer totalen Wohlstandsperspektive heraus so betrachten, ist den Wenigsten wirklich bewusst.“

Ein junger Mann trägt einen kaputten Fernseher durch den giftigen Rauch.

Löffelbeins Lieblingsbild zeigt einen jungen Mann, der einen Fernseher über dem Kopf durch die Rauchwolken trägt – voller Triumph und Stolz. Denn auf dem Müllplatz in Ghana ist eine kaputte Bildröhre eine wahre Kostbarkeit. Während der junge Mann sie verbrennt und ausschlachtet, tritt er nicht einmal zurück, obwohl die giftigen Rauchwolken seinem Körper schaden. Er hat Angst, dass ihm jemand seinen Schatz wegschnappt.

Kai Löffelbein beschäftigt sich mit großen Themen, die er aber vor allem anhand der Menschen erzählt. „Dabei möchte ich sie auch bei leidvollen Themen nicht als Opfer darstellen, sondern ihnen vielmehr eine Stimme geben“, betont er. Eine Stimme, die bis vor unsere eigene Haustür zu hören ist: „Meine Fotografien entstehen meist im Ausland, haben aber trotzdem immer etwas mit uns und mit unserem Lebensstil in Deutschland und in Europa zu tun.“ Denn das ist letztlich Löffelbeins Ziel: Seine Fotos sollen die Konsumgesellschaft kritisieren und zum Nachdenken anregen.

 

Kai Löffelbein wird am 16. März in der Landesbibliothek Oldenburg in einem Vortrag mehr über seine Reisen, seine Fotos und sein Buch „Ctrl-X. A topography of e-waste“ erzählen. Der Ticketvorverkauf läuft über Eventbrite