Fälschungen im Wettbewerb um den World Press Photo Award? Kann nicht sein? Kann es doch. Mit einer Fake-Fotoserie über die mazedonische Stadt Veles gewann der norwegische Fotograf Jonas Bendiksen in der neuen Kategorie „Open Format“ – mit voller Kenntnis der Jury. Warum das alles? Das verraten wir hier.
Veles ist eine nordmazedonische Provinzstadt mit 40.000 Einwohnern. 2016 etablierte sie sich als Epizentrum für die Produktion gefälschter Nachrichten auf der Weltkarte. Während der US-Präsidentschaftswahlen erstellten technisch versierte Jugendliche vor Ort Hunderte von Clickbait-Websites, die sich als amerikanische politische Nachrichtenportale ausgaben, um mit Klicks auf Anzeigen von Zuschauern schnelles Geld zu verdienen. Da die Fake News aus Veles über soziale Medien Millionen von Menschen erreichten, verdienten viele der News-Hacker viel Geld – und könnten durchaus zur Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA beigetragen haben.
Selbst die Profis schöpften keinen Verdacht
Der renommierte norwegische Fotojournalist Jonas Bendiksen reiste nach Veles, um die Trollfarmen unter die Lupe zu nehmen. Mit seiner Veröffentlichung The Book of Veles legte er eine Aufsehen erregende Foto- und Textdokumentation seiner Recherche vor. Aber: Nichts an dem Buch war echt oder wahr. Alle in Bendiksens Bildband enthaltenen Fotos sind Fälschungen, die begleitenden Essays wurden von künstlicher Intelligenz geschrieben.
Jonas Bendiksen spricht von einem technischen Experiment: „Ich wollte sehen, wie einfach es ist, die neuen Technologien zu benutzen. Als ich die Software heruntergeladen habe, wusste ich sofort, dass das gefährlich und beängstigend ist.“ Er habe gleich gesehen, wie leicht es heute sei, Technologie zu nutzen, um Fake News und Lügen zu produzieren. „Dies ist etwas völlig Neues, wir haben es mit einer neuen Medienlandschaft und neuen Problemen zu tun.“ Überrascht sei er gewesen, dass niemand kritische Fragen zu seinen Bildern gestellt habe. „Jeder dachte, es handele sich um ein seriöses Stück Fotojournalismus.“ Die Fotos wurden sogar beim französischen Festival für Fotojournalismus „Visa pour l’Image“ in Perpignan auf riesigen Leinwänden gezeigt – vor erfahrenen Bildredakteur:innen, Kurator:innen und Fotograf:innen. Bendiksen erstaunt: „Niemand sagte etwas, die Leute haben es einfach akzeptiert.“
Der Fälscher enttarnt sich selbst
Am Ende hat Jonas Bendiksen sich selbst enttarnt. Kurz nach den Tagen von Perpignan erstellte er unter dem Aliasnamen Chloe Miskin einen Twitter-Account, über den er Hinweise auf den großen Schwindel lancierte. Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung des Book of Veles enthüllte der Norweger schließlich, dass seine Fotos Fälschungen sind, ebenso wie der Text, für den er das Programm GPT-2 nutzte.
Er habe auf die Gefahren der Bildmanipulation und Desinformation hinweisen wollen, sagt Bendiksen über seine Motivation. Die Technologien zum Fälschen seien heute so gut, dass es eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung sei, Wahrheit von Manipulation zu unterscheiden. Er fürchtet, dass die Leute „passiv und desinteressiert“ würden, wenn sie nicht mehr wüssten, was sie glauben sollten. Das sei eine erhebliche Bedrohung der Demokratie.
Sonst immer sehr darauf erpicht, keine Bildmanipulationen zuzulassen, war die Jury des Wettbewerbs höchst beeindruckt von Bendiksens Arbeit. „Der Fotograf zeigt auf intelligente Weise, was es bedeutet, in einem Zeitalter der Desinformation zu leben“, begründete das Gremium seine Entscheidung. Und weiter: „Die Verwendung einer innovativen Technik in Kombination mit Symbolik und Ironie fügt dem gesamten Werk Bedeutung hinzu und gibt einen kühnen politischen Kommentar ab, wie anfällig wir für falsche Einflüsse in einer sich verändernden Branche sind“.