Das Pressebild des Jahres 1968
Eddie Adams / Associated Press

Eine falsche Ikone?

Vor genau 50 Jahren entstand eines der bekanntesten Kriegsfotos der Welt

Saigon, 1. Februar 1968. Die USA kämpfen mit Südvietnam gegen den kommunistischen Widerstand im Norden. Für den vietnamesischen Neujahrstag Tết war eine Feuerpause vereinbart worden, doch den Regierungsgegnern des Vietkongs gelang am Tag zuvor ein Überraschungsangriff, der später als Tet-Offensive in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Inmitten der Kämpfe auf den Straßen von Saigon schießt der amerikanische Fotojournalist Eddie Adams das World Press Photo des Jahres 1968.

Die Aufnahme zeigt den Vietkong Nguyễn Văn Lém im Augenblick seiner Hinrichtung. Seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt, eine Waffe nähert sich seiner Schläfe, um die todbringende Kugel abzufeuern. Der Schütze ist der südvietnamesische Polizeichef Nguyễn Ngọc Loan.

„Still photographs are the most powerful weapon in the world.”

Vor 50 Jahren hielt Eddie Adams diese Szene für immer im Bild fest und schuf damit eines der berühmtesten Kriegsfotos des 20. Jahrhunderts. Später sagte er, sein Bild sei nur durch Zufall entstanden. Er habe reflexartig die Kamera gehoben und den Auslöser gedrückt, als Loan plötzlich seine Waffe hob und schoss. Bis dahin glaubte Adams, dass er lediglich Zeuge eines Verhörs werden würde. Die Aufnahme der Hinrichtung verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf den Titelseiten aller großen Tageszeitungen – und rückte die Brutalität des Krieges ins Bewusstsein der amerikanischen Bürger. Die Anarchie auf den Straßen Saigons weckte in ihnen die Überzeugung, dass der Vietnamkrieg nicht mehr zu gewinnen war. Adams‘ Foto wurde binnen kürzester Zeit zu einem Symbol der Antikriegsbewegung.

Ein Symbolbild des Krieges

Für sein Foto erhielt Eddie Adams mit dem Pulitzer-Preis die höchste journalistische Auszeichnung des Landes. Auch 50 Jahre später gehört sein Bild zu den bekanntesten Kriegsaufnahmen überhaupt. Das Time Magazine wählte es unter die 100 einflussreichsten Bilder aller Zeiten. Bis zu seinem Tod im Jahr 2004 war Adams jedoch der Überzeugung, dass es aus dem Kontext gerissen und für die Antikriegsbewegung missbraucht wurde. Loan sei zu Unrecht zum Mörder stilisiert worden, obwohl er lediglich „ein Produkt des modernen Vietnam“ war. Man müsse auch die Umstände außerhalb des Bildes betrachten, denn das Foto zeige nur die halbe Wahrheit.

„The photo is part of a bigger picture, which you cannot judge by looking at the photo alone.”

Gerüchten zufolge hatte Lém zuvor die Familie von Loans Freund getötet. Ob die Erschießung Léms am Ende gerechtfertigt war, ob die Tötung eines Menschen generell gerechtfertigt werden kann, ist und bleibt ein streitbarer Punkt. Fest steht jedoch, dass die Symbolkraft des Fotos bis heute ungebrochen ist. Die Umstände, die zu der Szene in Adams‘ Bild führten, waren für die Verbreitung, Interpretation und Instrumentalisierung des Bildes irrelevant. Der Fotograf fing zur richtigen Zeit den richtigen Moment ein: Eine Situation, in der der Vietnamkrieg nicht nur militärisch und politisch, sondern auch menschlich außer Kontrolle geriet und die wachsende Kriegsmüdigkeit der amerikanischen Bürger befeuerte. Heute erinnert uns die Geschichte hinter dem Bild daran, dass ein Foto immer nur als Momentaufnahme dient und eine Gesamtsituation niemals vollständig abbilden kann.