Stella Meyer und Sarah Schneider

Lebensnotwendig, aber unerreichbar

Umgeben von Wasser, doch durch Gesetze kein Zugang. Stella Meyer und Sarah Schneider im Interview über ihr Langzeitprojekt in Patagonien.

Puerto Guadal, ein chilenisches Dorf im Norden Patagoniens. Die Bewohner:innen haben keinen Zugang zu kostenlosem Wasser, obwohl ihr Zuhause davon umgeben ist. Der Grund dafür ist ein Gesetz, das 1981 während der Pinochet-Diktatur erlassen wurde und die Privatisierung von Wasser ermöglichte. In ihrem Fotoprojekt „Yo bebo leche y agua“ („Ich trinke Milch und Wasser“) dokumentieren Stella Meyer und Sarah Schneider die Folgen des Gesetzes für die Menschen in Puerto Guadal.

Stella, Sarah, ihr habt euch im Studiengang „Visual Journalism and Documentary Photography“ an der Hochschule Hannover kennengelernt. Wie seid ihr zum Fotografieren und vor allem zum gemeinsamen Fotografieren gekommen?

Stella: 2019 habe ich eine Zeit lang in Tokio, Japan, gelebt. Ich hatte dort eine schwierige Zeit und habe irgendwann gemerkt, dass ich immer nur auf den Boden geschaut habe, statt mir die Stadt richtig anzusehen. Um meinen Blick auf die Welt neu auszurichten, habe ich mir schließlich eine Kamera gekauft. Die Fotografie hat mein Leben bereichert und ich hatte wieder mehr Lust am Leben. Ich habe einen Journalisten kennengelernt, der mir die Welt des Fotojournalismus gezeigt hat. 2020 habe ich im Studium Sarah getroffen, die fast alle meine Interessen und Schwerpunkte teilt. Unsere Zusammenarbeit lag also quasi auf der Hand. 

Sarah: Wir beide beschäftigen uns durch persönliche und familiäre Kontaktpunkte mit den Themen mentale Gesundheit, Natur und Randgruppen. Wir wollen Sensibilität für unterrepräsentierte Themen schaffen und kollaborative Diskurse gemeinsam mit den Protagonist:innen eröffnen. Ein Projekt ist auch immer eine Art Weiterbildung für uns, weil wir durch das Fotografieren von und den engen Kontakt zu den Protagonist:innen ein Grundverständnis für das Thema bekommen. Die Fotografie gibt mir so viel. Ich habe meinen Abschluss an einer Handelsakademie gemacht und in der Buchhaltung gearbeitet. Das hat sich aber immer mehr wie eine innere Leere angefühlt, also bin ich 2019 auf Reisen gegangen und habe mich auf die Suche nach meinem „ikigai“ gemacht. Das ist japanisch für „das, wofür es sich zu leben lohnt“. Gefunden habe ich es irgendwo zwischen Vietnam und Sri Lanka: Fotografie mit einem Realitätsbezug.

Fabian Niebauer

Stella Meyer und Sarah Schneider

Wie seid ihr auf das Thema von „Yo bebo leche y agua“ gestoßen? 

Stella: Wir haben einen Spanischkurs belegt und dann beschlossen, gemeinsam auf Reisen zu gehen, um die Sprache weiter zu vertiefen. Da ich Familie in Chile habe, fiel unsere Wahl auf dieses Reiseziel. In einem Anhalter-Auto in Patagonien kam uns zum ersten Mal die politische Situation in Chile zu Ohren. Später auf unserer Reise haben wir uns mit der Kultur des Mate-Tees beschäftigt und Mate selbst gemacht. Irgendwann ging uns das Wasser aus, also sind wir zum nahen Fluss gegangen, um neues zu holen. Da wurde uns dann zum ersten Mal bewusst: Was wir gerade machen, ist illegal. Man kann nicht sehen, fühlen oder schmecken, dass das Wasser privatisiert ist, aber es ist trotzdem so … Wie verrückt! Für uns aus Westeuropa war das kaum vorstellbar. Das hat uns total berührt.

Sarah: Wenig später hatten wir an der Hochschule das Seminar „Auslandsreportage“. Wir haben also beschlossen, nochmal nach Patagonien zu fliegen, mehr über das ganze Thema zu lernen und daraus eine Geschichte zu machen. 

Könnt ihr aus dieser Geschichte ein wenig mehr erzählen?

Sarah: Wasser ist ein lebensnotwendiges Gut, aber in Puerto Guadal kannst du es nicht einfach verwenden, sondern musst Wasserrechte kaufen. Das ist erst einmal ein sehr theoretisch klingendes Problem. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, das Thema herunterzubrechen und ihm ein Gesicht zu geben. Das haben wir in Puerto Guadal getan. Das Dorf liegt direkt am Lago General Carrera, das ist der zweitgrößte See Südamerikas. Es hat rund 800 Einwohnende, von denen 300 im Kern und 500 im Umland verteilt leben. Für den Dorfkern gibt es ein lokales Trinkwasserkomitee, das Rechte am See hat. Aber die Menschen, die außerhalb wohnen, müssen sich um ihre eigenen Wasserrechte kümmern. 

Stella: Das ist aber kaum machbar, allein schon, weil sie zumeist erhöht wohnen und das Seewasser durch fehlende technische Mittel gar nicht dorthin gepumpt werden kann. Zudem wurden die meisten Wasserrechte bereits aufgekauft, sodass es teilweise gar nicht möglich ist, überhaupt legal an Wasser zu kommen. Das Krasse ist, dass das Wasser wie eine „Handelsware“ freigehandelt werden kann. Das bringt es auch auf den Punkt. Landbesitz und Wasserbesitz sind zwei getrennte Dinge. 

Stella Meyer und Sarah Schneider

Yo bebo leche y agua. Das kanadische Stromerzeugungsunternehmen Edelaysén profitiert vom Fluss Los Maquis. Im Jahr 2019 bauten sie ein Wasserkraftwerk. 23.8.2022, Puerto Guadal, Chile.

Gibt es dafür keine Lösung?

Sarah: Es könnte eine Lösung geben, und zwar den Fluss Los Maquis. Dort hat aber der kanadische Energiekonzern Edelaysén ein Wasserkraftwerk gebaut, was mit Waldzerstörung und illegalem Straßenbau einherging. Innerhalb des Dorfes Puerto Guadal hat das zu gesellschaftlichen Reibungen geführt. Einige Einheimische – oder „Guadalinos“, wie sie sich nennen – haben eine Bewegung namens „Los Maquis Libres“ gegründet, um gegen die Missachtung der Umwelt durch das Unternehmen zu kämpfen. Die Bewegung erfährt aber sehr viel Druck durch die Lokalpolitik. 

Euer Projekt ist noch längst nicht abgeschlossen. Wie schreitet es voran?

Sarah: Insgesamt waren wir nun dreimal in Puerto Guadal. Zunächst haben wir uns verstärkt auf die Sichtweisen der Menschen dort fokussiert. Ein einheimischer, mittlerweile guter Freund gab uns die Rückmeldung, dass unsere Abbildung der Thematik dadurch recht singulär erscheint. Das war ein Rückschlag, aus dem wir letztlich aber sehr viel Kraft und Inspiration schöpfen konnten. Wir arbeiten nun verstärkt daran, auch die Sichtweisen der Firmen vor Ort darzustellen und den diktatorischen Verhältnissen auf den Grund zu gehen. 

Stella: Außerdem möchten wir sowohl die Menschen, die gegen die Wasserprivatisierung sind, als auch die Pro-Seite mit einbeziehen. Wir recherchieren, führen Interviews, nehmen Fotos und Videos auf und sammeln grundsätzlich sehr viel Material. Nebenbei nehmen wir an einer Online-Master-Class zum Thema Dokumentarfotografie teil. Unser größtes Ziel ist es, irgendwann ein Buch zu veröffentlichen und unsere Arbeit auszustellen.

Stella Meyer und Sarah Schneider

Yo bebo leche y agua

Was hat es mit der Milch („leche“) im Projekttitel auf sich, wenn es doch um Wasser geht?

Stella: Die Zeile „yo bebo leche y agua“ kommt aus einem Gedicht von Gabriela Mistral, eine chilenische Dichterin und Diplomatin. Für Neugeborene ist Milch lebensnotwendig und es ist selbstverständlich, dass sie sie bekommen. Wasser ist ebenso lebensnotwendig, aber für die Menschen in Puerto Guadal nicht selbstverständlich. Deshalb fanden wir diese Gedichtzeile sehr passend. Sie macht einen nachdenklich. 

Veranstaltungstipp

Mehr über das Projekt und ihre Zeit in Patagonien haben Sarah Schneider und Stella Meyer in ihrer Sonntagsmatinee am 10. März 2024 um 11 Uhr in der Buchhandlung Isensee erzählt.

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