Grasielle Barbaresco

Storytelling ohne Schlagzeilen

Die Sonderschau „The Everyday Projects Grant“ zeigt Geschichten abseits westlich geprägter Klischees

Krieg, Krankheit, Korruption – viel zu oft erreichen uns die immer gleichen Aufnahmen aus Afrika, dem Nahen Osten, Mittel- und Südamerika. In einem Wettbewerb der Initiative „The Everyday Projects“ wurden nun zwölf Fotograf:innen ausgezeichnet, die ihre Heimat aus einem anderen Blickwinkel zeigen.

Wie auch in den Vorjahren wird die World-Press-Photo-Ausstellung 2022 von einer Sonderschau ergänzt. Ausgestellt sind 50 Fotografien junger Fototalente, die sich im vergangenen Jahr für das Stipendium „The Everyday Projects Grant“ beworben hatten. Das Thema des Wettbewerbs: die Suche nach Identität, Heimatgefühl. Zugehörigkeit.

Auf der Suche nach den Wurzeln

Gewonnen haben der Sudanese Salih Basheer und die Mexikanerin Tania Barrientos Radilla. Neben den beiden Stipendiat:innen zogen zehn weitere Teilnehmende in die Endrunde ein. Sie alle werden im Oldenburger Schloss mit einer Auswahl ihrer Fotos vertreten sein. Da geht es um eine queere Community in Puerto Rico, das Leben in den Webereien von Mazar-i-Sharif oder die kulturellen Riten einer Beduinen-Gemeinschaft auf der Sinai-Halbinsel. Es ist die Vielfalt, die die Betrachtenden in den Bann zieht, und den Blick öffnet für das, was uns in Zeitungsartikeln, Nachrichtensendungen und Radioberichten bisher verborgen blieb.

In „Doce Viajes al Japón“ begleitet Tania Barrientos Radilla drei Kinder im Süden von Yucatán. Sie sieht ihre eigenen Kindheitserinnerungen im Spiel der Kinder, spürt ihre Unbeschwertheit und zugleich die Sehnsucht nach Erwachsenwerden. „Durch meine Zeit mit Laura, Erick und Yazmín wurde ich unweigerlich zu meinen eigenen Wurzeln zurückgeführt“, resümiert sie heute.

Der Weg nach Hause

Salih Basheer hat sich nicht mit der eigenen Identitätsuche, sondern mit der anderer beschäftigt. Seine Reportage „The Home Seekers” zeigt sudanesische Geflüchtete in Ägypten. Dem jungen Essam folgte Basheer sogar bis nach Göteborg – auf dem Weg in ein neues Leben. Weil Essam homosexuell ist, musste er seine Heimat verlassen und zog zunächst nach Kairo. Sein Ziel: Europa. Essams Flucht übers Mittelmeer scheiterte jedoch, weil sein Schlepper mit dem Geld türmte. Als sein Antrag auf Asyl in Schweden endlich anerkannt wurde, wuchs die Hoffnung auf einen Neuanfang. Doch auch hier kommt er nicht zur Ruhe, findet nicht zu sich selbst. Gehört nicht dazu. Seit drei Jahren dokumentiert Salih Basheer Essams Weg und zeichnet damit ein eindringliches Porträt eines jungen Mannes, der verzweifelt nach einem Zuhause sucht. Heute denkt Essam bereits über eine Rückkehr in den Sudan nach. Die Hoffnung hat er aufgegeben.

Ein Mentor:innen-Programm für junge Talente

Salih Basheer und Tania Barrientos Radilla erhalten nicht nur ein Preisgeld, sondern werden Teil eines einjährigen Mentor:innen-Programms, an dem namhafte Fotojournalist:innen beteiligt sind. Unter ihnen ist neben Mallory Benedict, Bildredakteurin für National Geographic, auch die Fotojournalistin Jehan Jillani. „Ich bin in Pakistan aufgewachsen, als der Krieg gegen den Terror seinen Höhepunkt erreicht hatte. Die reduzierte, eindimensionale Darstellung meines Landes in der internationalen Berichterstattung hat mich schon als junges Mädchen völlig entmutigt“, schildert Jehani, die heute für das New Yorker Büro des britischen Guardian arbeitet. „Durch das Engagement der Everyday Projects gehören solche ausschließenden Traditionen nun endlich der Vergangenheit an.“