Sie heißen Vágar, Sandoy oder Mykines – 18 schroffe Inseln mitten im Nirgends des Nordatlantik. Zwischen 700 und 800 Kilometer Luftlinie sind es jeweils bis rüber ins norwegische Bergen, ins schottische Edinburgh oder in Islands Hauptstadt Reykjavik. Wer auf den Färöer-Inseln zuhause ist, weiß was Abgeschiedenheit bedeutet.
Weitgehende Autonomie von Dänemark
Auf dem Archipel lebt ein stolzes Völkchen. Formal gehören die Menschen hier zum dänischen Königreich. Trotzdem haben sie sich von Kopenhagen eine weitreichende Autonomie erkämpft. Sie verfügen über eine eigene Flagge, eigene Geldscheine, eigenen Pass und eine Sprache, die mit der isländischen verwandt ist und zu den ältesten der Welt gehört.
Niclas Tiedemann hat die Inselgruppe in den vergangenen Jahren mehrfach besucht. Der Hannoveraner versteht sich als Porträt- und Dokumentarfotograf. Besonders gern befasst er sich in Langzeitprojekten mit den Auswirkungen von urbaner Gestaltung und Infrastruktur auf die Gesellschaft. Sein Projekt am Rande Europas hat er nach der Meerenge Skopunarfjørður benannt. Sie trennt die Inseln Sandoy im Süden und Streymoy im Norden und markiert zugleich die Grenze zwischen den wichtigsten Dialekten des Färöischen.
Die langen Kältephasen machen den Arbeitern zu schaffen und verzögern den weiteren Ausbau von Straßen und Tunneln immer wieder. Wegen fehlender Randmarkierungen ist ein Räumfahrzeug nach starken Schneefällen von der Straße abgekommen und in einen Graben gerutscht. Hier steckt es nun fest.
Mit seinen Fotografien zeichnet Tiedemann das Bild einer Gesellschaft, die in ihrem Alltag den härtesten Bedingungen trotzt, dabei aber immer wieder neue Wege finden muss, um die Herausforderungen zu bewältigen. Da ist etwa Simon Johannesen. Er ist einer der wenigen verbliebenen Menschen im Dorf Dalur. Die meisten Häuser stehen leer. Wer hier vorher gewohnt hat, ist in die Hauptstadt Tórshavn gezogen, das wirtschaftliche Zentrum.
„Mit dem Wandel zu einer modernen Gesellschaft sieht sich die Inselgruppe mit Abwanderung und dem Zwiespalt zwischen dem Schaffen neuer Perspektiven und Tradition konfrontiert“, weiß Tiedemann zu berichten. Seine Botschaft: Veränderungen sind notwendig, aber sie können eine Gesellschaft und ihre Wurzeln zerreißen.
Tunnelbauprofis aus Norwegen
Oder Oerjan Slinde: Der Norweger ist von Beruf Tunnelbauer. Sein Team schafft Verbindungen zwischen den Inseln, zum Teil sogar tief unter dem Meeresboden. Slinde und seine Leute sind viel gefragt, denn der Tunnelbau gilt als wichtigstes Infrastruktur- und Zukunftsprojekt auf den Inseln. Niclas Tiedemann sagt, dass die Regierung die Maßnahmen als eine Art „Allheilmittel“ ansieht. Durch sie soll der Zugang nach Tórshavn für alle Färinger erleichtert werden.
Oerjan Slinde arbeitet elf Tage auf den Färöern und fliegt dann für zehn Tage in seine norwegische Heimat. Spezialisten wir er vertrauen auf die norwegische Art des Tunnelbaus. Das bedeutet kurze bürokratische Wege; die Arbeiter im Tunnel können die meisten Entscheidungen selbst treffen.
Und in manchen Ortschaften bringen die Neuerungen tatsächlich ein Plus an Lebensqualität, wie der Fotograf in eindrucksvollen Bildern am Beispiel Gásadalur zeigt. Das spektakulär zwischen den Bergen und dem Meer gelegene Dorf im Westen der Insel Vágar zählte lange Zeit zu den isoliertesten in Europa. Es konnte nur zu Fuß auf einer beschwerlichen Wanderung entlang steiler Klippen oder per Hubschrauber erreicht werden.
Durch einen 2006 eröffneten Tunnel (siehe Foto ganz oben) ist es inzwischen mit der Außenwelt verbunden. Der Postbote kann den zurzeit rund 15 Einwohner:innen ihre Briefe und Pakete nun tatsächlich mit dem Auto bringen. Zuvor hatte auch er sich dreimal pro Woche über die „Old Mail Route“ ins „Gänsetal“ quälen müssen.
Niclas Tiedemann wird sein Fotoprojekt „Skopunarfjørður“ in der Sonntagsmatinee am 18. Februar 2024 um 11 Uhr vorstellen. Die Matinee findet in der Buchhandlung Isensee statt, Eintrittskarten kosten 5 Euro und können ab dem 15. Januar 2024 im Vorverkauf in der Buchhandlung Isensee erworben werden.