Matthew Abbott for National Geographic, Panos Pictures

Ein neuer Blick aufs Geschehen

Vier fotojournalistische Arbeiten tragen in diesem Jahrgang den Titel „... of the Year“

Durch die Neustrukturierung des World-Press-Photo-Wettbewerbs erhalten die Zuschauer:innen Einblicke, die ihnen bisher verwehrt blieben: Länder, Regionen, Themen und Medien, die sonst kein oder nur wenig Gehör fanden, haben nun einen Platz im Wettbewerb.

Vier fotojournalistische Arbeiten dürfen in diesem Jahr die Auszeichnung „… of the Year“ tragen: das Foto, die Fotoserie, die Langzeitreportage und das offene Format des Jahres. Auf Amber Brackens prämiertes „World Press Photo of the Year” gehen wir in den kommenden Wochen genauer ein. Die übrigen drei Arbeiten stellen wir im Folgenden bereits kurz vor.

 

Mit Feuer gegen das Feuer

Die Auszeichnung „World Press Photo Story of the Year“ wird bereits seit Jahren vergeben. 2022 gewann der Australier Matthew Abbott diese Auszeichnung. Seine Reportage „Saving Forests with Fire“ begleitet Menschen aus der indigenen Nawarddeken-Community im australischen Arnhem Land. Abbott lebte selbst mehrere Jahre dort und lernte so die Nawarddeken und ihre Lebensweise kennen. „Viele Jahre später kam National Geographic auf mich zu und suchte nach einer Reportage, die eine Reaktion auf die verheerenden Waldbrände in Australien in den vergangenen Jahren darstellt“, erinnert sich Abbott. „Ich dachte sofort an meine Zeit bei den Nawarddeken zurück und wollte ihre traditionellen Methoden zur Feuerprävention mit der Welt teilen.“ Durch das kontrollierte Abbrennen von Grasland („cool burning“) verjüngen die indigenen Bewohner:innen Australiens seit Zehntausenden von Jahren ihr Land und entfernen leicht entzündliches Unterholz. So können weitere unkontrollierbare Buschfeuer verhindert werden, die verheerende Auswirkungen auf das Klima haben. Die Ranger der Nawarddeken-Community bewirtschaften auf diese Weise ein 1,39 Millionen Hektar großes Gebiet – das ist fünfzehnmal so viel wie die Fläche der Insel Rügen. Sie kombinieren ihr traditionelles Wissen, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, mit moderner Technik wie etwa mobilem Mapping, das gesammelte Daten zu Bodenbeschaffenheit und Bewuchs in ein digitales Abbild der Landschaft überträgt.

„Matthew Abbotts Reportage lässt uns darüber nachdenken, wie die Welt heute aussehen würde, wenn wir schon früh auf altes Wissen wie dieses gehört hätten“, lautet die einhellige Meinung der World-Press-Photo-Jury. Es sei ein Paradebeispiel für konstruktiven Journalismus, da Abbott in seiner fotografischen Arbeit einen lösungsorientierten Ansatz verfolge und zeige, wie altes Wissen und die absolute Verbundenheit zur Natur einen Ausweg aus der globalen Klimakrise ebnen könnten.

 

Von der grünen Lunge zur Dystopie

In diesem Jahr wird mit dem „Long-Term Project Award“ erstmals die beste Langzeitreportage des vergangenen Jahres prämiert. Lalo Almeidas Arbeit mit dem Titel „Amazonian Dystopia“ ist über einen Zeitraum von zwölf Jahren entstanden und zeigt die sozialen, politischen und umweltlichen Folgen, die die durch Präsident Jair Bolsonaro vorangetriebene Ausbeutung des Amazonasgebiets nach sich zieht. Seit 2019 schreitet die Abholzung im brasilianischen Regenwald schneller denn je voran. Nicht nur das einzigartige Ökosystem und seine unglaubliche Artenvielfalt leiden darunter. Auch die indigenen Communities sind betroffen. Flüsse versiegen, Felder werden unfruchtbar, immer häufiger kommt es zu extremen Dürreperioden im Land. „Ökologische und soziale Fragen lassen sich nie getrennt voneinander betrachten“, findet der in Sao Paulo lebende Almeida. „Ein Großteil der Städte, die besonders von Abholzung betroffen sind, haben auch ein immenses Armutsproblem. Armut, Gewalt, Abholzung, die Zerstörung unserer Umwelt – diese Elemente sind unmittelbar miteinander verbunden.“

Und auch die Jury sieht die dringliche Botschaft, die über Almeidas melancholisch anmutenden Schwarzweißfotografien schwebt: „Sie beweisen eindrucksvoll, welchen Effekt die Ausbeutung der Natur durch den Menschen hat, und zeigen eine direkte Verbindung zum Klimawandel auf, einem der drängendsten Themen unserer Zeit.“

 

Ein Video gegen das Vergessen

Mit der Neustrukturierung des Wettbewerbs hielt eine neue Kategorie Einzug in den Contest: das offene Format. Die prämierten Arbeiten im „Open Format“ können etwa Collagen, Filme oder Pageflows sein. So bekommen fortan jene Foto- und Videojournalist:innen eine Plattform, die im bisherigen Reglement des Wettbewerbs ausgeschlossen worden wären. Dazu zählt auch Isadora Romero. Die Storytellerin aus Ecuador widmet sich in ihrer Videoproduktion „Blood is a Seed“ dem Verlust der Biodiversität durch zunehmenden Einsatz von Monokulturen in Kolumbien, der Heimat ihrer Vorfahren. „Wir als Gemeinschaft verlieren dadurch nicht nur einen Teil unserer Nahrung, sondern auch unser kulturelles Erbe“, erklärt Romero. „Es ist mir wichtig, diesen Prozess zu zeigen.“ Im Video nutzt sie digitale und analoge Fotografien und kombiniert sie mit animierten Illustrationen. Soundeffekte, Romeros eigene Erzählungen und die ihres Vaters nehmen die Betrachtenden mit in die Erinnerungen an eine Vergangenheit, in der Artenvielfalt selbstverständlich war.

Die Jury begeisterte vor allem die persönliche Herangehensweise an ein Problem von globaler Bedeutung: „Dieses Video ist ein großartiges Beispiel dafür, dass die Open-Format-Kategorie ein Raum für Fotografierende ist, die verschiedene Medien vereinen möchten. So entsteht eine kohärente, einfallsreich erzählte Geschichte von globaler Relevanz.“

Die Videoproduktion von Isadora Romero ist auf der Website der World-Press-Photo-Stiftung in voller Länge abrufbar.