Das Gegenüber so nehmen, wie es ist. Nicht vorschnell urteilen. Getreu diesen Mottos geht Rafael Heygster seine Arbeit an. Der Fotojournalist, der zurzeit an der Hochschule Hannover studiert, beobachtet mit der Kamera. Aber er wertet nicht. Sein neutraler Blick macht es Betrachtern leicht, sich selbst ein Bild zu machen. Gerade deshalb kam es bei der Sonntagsmatinee, auf der er zwei seiner Fotoserien vorstellte, zu lebhaften Diskussionen.
Erst ist da Skepsis im Publikum. “Sind das alles Nazis?” fragt sich nicht nur ein erschreckter Gast. Harmlose Waffennarren oder Verrückte? Ein anderer erinnert daran, dass man doch als kleines Kind selbst mit Wasserpistolen herumgespritzt habe. Und etwas anderes machten die Airsoft-Spieler, deren Hobby Rafael Heygster in eindrucksvollen Bildern dokumentiert, doch auch nicht. Und wie zum Beweis zeigt das nächste Foto ein Kästchen mit einer Pistole auf einem blauen Bettbezug mit lustigen Comic-Hündchen. Alles normal also?
Ja und nein. Der Fotograf zeigt Menschen – vor allem junge -, deren Tun gesellschaftlich mindestens auf Stirnrunzeln stößt. Aber: Es geht um Spaß, um Freizeit und – trotz all der Waffen bis hin zum Panzer – nicht um dumpfen Militarismus. Frauen sind bei den paramilitärischen Geländespielen und Airsoft-Festivals dabei, zu denen die Szene regelmäßig zusammenkommt, kaum dabei. Höchstens beim abendlichen Programmpunkt “Striptease” sind welche auf der Bühne. “Doch die Jungs stehen dazu”, sagt eine Besucherin anerkennend, “anders als viele sogenannte Normalos, die verschämt zur Seite blicken oder ihre Neigungen nur im Geheimen pflegen”.
Geradezu grotesk die Aufnahme eines 17-jährigen Hänflings, der mit Airsoft-Pistole in der Hand und Fragezeichen im Gesicht vor der Kamera posiert. Am Abend holt ihn dann seine Mutter mit dem Auto nach Hause ab. Bedrohlich? “Jeder Streifenpolizist hat für mich mehr Durchsetzungsvermögen”, bekundet der Mann, der kürzlich mit dem renommierten VGH-Fotopreis ausgezeichnet wurde.
Wichtigste Erkenntnis des Vormittags bei Kaffee und Croissant, ausgesprochen von Rafael Heygster selbst: “Der Mensch steckt voller Widersprüche.”
Das wird auch deutlich beim Schulterblick auf eine zweite Serie, an der die Arbeit noch nicht abgeschlossen ist. Sie zeigt junge Pärchen aus Hannover, alle gezeichnet vom Drogenkonsum. Die Partner geben sich gegenseitig Halt, oft nur für wenige Tage, aber stets mit größter Emotionalität. Rafael Heygster fotografiert sie gemeinsam und überlässt ihnen die Entscheidung, wie sie sich zeigen wollen. Fast immer sind die Hände ineinander verschlungen, fast immer bleiben die Blicke ernst.
Die Geschichten dazu sind rührend. Für 44 Euro hat einer im Kaufhaus Eheringe für seine Liebste gekauft. Zum Antrag kommt es im Steakhaus. Ein anderer verbrennt sein Flugticket nach Barcelona, um trotz Fernweh bei der Freundin zu bleiben. Momente kleinen Glücks.
Rafael Heygster kommt seinen Protagonisten sehr nahe. Er tritt ihnen offen und respektvoll entgegen, zeigt ehrliches Interesse an ihnen. So entsteht das für seine Aufnahmen notwendige Vertrauen. Niemand wird hier diskreditiert, niemand abgewertet oder gar in seiner Würde verletzt. Der Fotograf bleibt in jedem Augenblick Chronist. “Ich kann niemanden retten”, sagt er. “Und das ist auch nicht meine Aufgabe.”
Foto: Mediavanti