Pingpong-Interview zwischen Ausstellungsinitiator Claus Spitzer-Ewersmann und Museumsdirektor Rainer Stamm über den Erfolg der World Press Photo 15.
Claus Spitzer-Ewersmann: Herr Stamm, was macht für Sie das Besondere an Pressefotografie aus?
Rainer Stamm: Ich bin seit den ersten Tagen als Kunsthistoriker glühender Verehrer der Fotografie. Gute Pressefotografie zeichnet sich durch ein gutes Bild aus – aber eben auch dadurch, dass wir alle dazu etwas sagen können. Man müsste einmal zählen, wie viele Pressebilder man am Tag wahrnimmt, es dürften sehr viele sein. Der Konsum dieses Mediums ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Dabei zählt die Magie des besonderen Augenblicks ebenso wie die Authentizität, die Pressefotografie bieten muss. Dazu kommt, dass jeder mitreden kann. Diese Kompetenz kommt immer früher; ich erkenne sie auch schon bei meinem 14-jährigen Sohn, der ein sehr gutes Pressefoto bereits von einem weniger guten unterscheiden kann. Der Erfolg der World Press Photo Ausstellung zeigt, dass wir es mit einem musealen Thema zu tun haben, das allen Besuchern Anknüpfungspunkte bietet.
Im Umkehrschluss von mir die Frage an Sie, warum Sie so viel Leidenschaft und Energie in das Projekt gesteckt haben, diese Ausstellung nach Oldenburg zu holen.
Spitzer-Ewersmann: Es gab einige Gründe. Einer liegt im Lokalpatriotismus. Ich bin in Oldenburg geboren, ich liebe diese Stadt, ich habe ihr persönlich und beruflich viel zu verdanken. Deshalb war der Wille, Oldenburg etwas zurückgeben zu können, eine wichtige Triebfeder. Meinem Engagement seinerzeit für Oldenburgs Bewerbung um den Titel als „Stadt der Wissenschaft“ lagen ähnliche Motive zugrunde. Daneben sind wir als Agentur Mediavanti immer daran interessiert, Entwicklungen im Medienbereich frühzeitig zu erkennen, zu verstehen und vielleicht auch für uns zu nutzen. Selbst wenn man wie ich eher vom Text her kommt, muss man erkennen, dass die Bedeutung der Fotografie für die Medien noch nie so groß war wie heute. Diesem Umstand wollten wir Rechnung tragen. Die Pressefotografie besitzt einen ungeheure Kraft und Energie. Das richtige Bild kann auch überzeugen, wenn die Mittel des Textes längst ausgereizt sind.
Woher kommt aus Ihrer Sicht das große Interesse der Menschen an dieser Ausstellung, Herr Stamm?
Stamm: Das frage ich mich seit den ersten Tagen. Wir haben bereits mehrfach Fotografie gezeigt, nie aber mit einer so gewaltigen Resonanz. Keine andere Fotoausstellung war auch nur ansatzweise so erfolgreich wie diese. Ich sehe dafür in erster Linie zwei Gründe. Zum ersten gibt es keine größere Hemmschwelle – wie sonst häufiger in Museen. Die Leute können mit Fotografie etwas anfangen, sie kennen sie aus ihrem Alltag. Viele werden einzelne Aufnahmen wiedererkannt haben, das erzeugt einen Aha-Effekt. Für jeden Besucher gibt es hier einen, wie die Theologen sagen, „Sitz im Leben“. Zum zweiten glaube ich, dass vielen Oldenburgern die Internationalität des Projekts schmeichelt. Es regt zu Konversation an, man kann mit Freunden darüber sprechen und sich austauschen. So haben selbst viele derjenigen, die nicht in der Ausstellung waren, etwas davon erfahren. Eine kleine Verbindung in die Welt und ein Stückchen roter Teppich sind den Oldenburgern wichtig. Sie wollen sich gern bestärkt fühlen in der Relevanz dessen, was hier passiert – wir haben das auch bemerkt, als das Augusteum wieder eröffnet wurde. Dass darüber die überregionalen Medien berichtet haben, hat ihnen schon gefallen.
Spitzer-Ewersmann: Wir neigen sicherlich hier in der Region dazu, uns manchmal etwas zu klein zu machen. Es ist einerseits sympathisch, wenn wir nicht ständig mit lautem Getöse unterwegs sind. Andererseits könnten wir mit dem, was wir haben und dem, was wir können, ruhig etwas offensiver umgehen. Es ist nicht zwangsläufig etwas besser, zeitgemäßer oder cooler, nur weil es aus Hamburg oder Berlin kommt. Die Idee, einen simplen Fotowettbewerb in einen zeitgemäßen Fotoslam zu verwandeln, stammt jetzt erst einmal von uns. Ich bin mir sicher, dass wir von solchen Veranstaltungen in Zukunft auch aus anderen Städten hören werden. Die Oldenburger können stolz auf manches sein, was hier bei ihnen passiert.
Aber nochmal zurück zur Pressefotografie: Glauben Sie, dass sie helfen kann, die Glaubwürdigkeitskrise, in der viele Medien stecken, zu überwinden?
Stamm: Für die Glaubwürdigkeit ist Pressefotografie immer ein Lackmustest. Dennoch sehe ich an der Diskussion um dieses Thema keinen Neuigkeitswert. Zuhause habe ich ein Heft liegen über die Manipulation von Fotos in der Kriegsberichterstattung. Es ist von 1916! Das Phänomen ist also uralt. Ob man wie damals mit aufwendiger Spritzretusche arbeitet oder am Computer Bilder verändert – die Botschaft bleibt gleich: Schaut genau hin! Aber ich habe keine Sorge, dass junge Leute auf jede Manipulation hereinfallen. Sie sind mit den modernen Methoden ja selbst vertraut. Die Menschen waren noch nie so fotokompetent wie heute. Auch darin sehe ich eine Erklärung für den Erfolg Ihrer Ausstellung.
Weil wir gerade an diesem Punkt sind, möchte ich eine Frage stellen, die mich seit Tagen umtreibt: Sie kommen mit Ihrer Ausstellungsidee als eigentlich Außenstehender und verwandeln sie aus dem Stand in einen großen Erfolg. Was sollten wir aus Ihrer Sicht als Kommunikationsexperten anders machen, um mit unseren Projekten ein ähnliches Interesse zu erzeugen?
Spitzer-Ewersmann: Es wäre sicher vermessen, darauf eine allgemeingültige Antwort zu suchen. Wir haben uns die Frage ebenfalls gestellt und zumindest ein paar Ansätze gefunden. Die Ausstellung der World Press Photos zu zeigen, hieß für uns, uns ernsthaft mit dem Fotojournalismus zu beschäftigen. Deshalb haben wir intensiv überlegt, welches Potenzial die Sache hat – abgesehen vom Zeigen von Bildern. Das Rahmenprogramm war uns sehr wichtig. Damit konnten wir zusätzliche Interessengruppen ansprechen und die Pressefotografie zu einem Thema machen, dem die Öffentlichkeit viel mehr Aufmerksamkeit widmet als sonst. Und jede einzelne Veranstaltung zahlte auf das Konto der Ausstellung ein. So und auch weil wir sehr viel mit den sozialen Medien gearbeitet haben, wurde sie zum Stadtgespräch. Man muss einfach da gewesen sein, um mitreden zu können. Ganz bestimmt ist es nicht bei allen Ausstellungen möglich, sie zu Rundumerlebnissen für potenzielle Besucher zu machen. Erst recht nicht, wenn sie eine längere Laufzeit haben, als unsere drei Wochen. Aber man sollte immer nachdenken, welche zusätzlichen Ideen sich noch verwirklichen lassen.
Stamm: Die Laufzeit ist tatsächlich ein Problem. Viele Ausstellungen können wir gar nicht kürzer als auf drei Monate anlegen. Das macht es schwieriger, solch ein kompaktes Begleitprogramm zusammenzustellen. Es gilt deshalb, das richtige Maß zu finden. Man möchte einerseits bei Facebook nicht durch eine Überpräsenz genervt, andererseits aber auch gut informiert werden. Das muss man sehr genau austaxieren. Daneben wollen wir Lösungen finden, wie wir zumindest einige der Menschen, die zum ersten Mal bei uns waren, halten und weiter für uns begeistern können. Es waren sehr viele auch junge Menschen hier, die zufrieden das Schloss verließen. Andere sprachen mich an, ob wir die Pressebilder 2017 wieder zeigen. Ich würde mich freuen, die dann alle erneut zu sehen. Aber ebenso glücklich wäre ich, sie in der Zwischenzeit auch einmal für eine andere Ausstellung begeistern zu können. Wir wollen uns nicht verbiegen, aber wir müssen uns auch für Neues öffnen, ohne Bewährtes zu vernachlässigen. Daran werden wir arbeiten, das verspreche ich.
Spitzer-Ewersmann: Wenn es gewünscht ist, helfen wir dabei gern mit. Herr Stamm, vielen Dank für dieses kleine Interview-Spielchen und überhaupt für die exzellente Zusammenarbeit in den letzten Monaten.