Yasuyoshi Chiba hält in seinem Foto den unerschütterlichen Willen eines Volkes fest. Und schafft damit eine Inspiration für den gewaltfreien Protest auf der ganzen Welt.
Fast 30 Jahre unter der Herrschaft von Diktator Umar al-Bashir haben den Sudan gezeichnet. Das westafrikanische Land, geprägt von Misswirtschaft und Korruption, ist am Boden. Die Erhöhung des Brotpreises auf das Dreifache im Dezember 2018 bringt schließlich die Bevölkerung auf die Straßen. Diktator al-Bashir wird im April 2019 entmachtet, ein Militärrat als Übergangsregierung eingesetzt. Doch die Menschen sind damit nicht zufrieden. Sie fordern Mitspracherechte ein. Nicht alle Proteste verlaufen friedlich. Immer wieder schlägt die sudanesische Polizei die Aufstände nieder. Trauriger Höhepunkt ist der Angriff einer unbekannten Gruppe aus dem Militär auf eine Sitzblockade im Zentrum der Hauptstadt Khartum. 100 Menschen sterben, weitere 500 werden zum Teil schwer verletzt.
Zwei Wochen nach dieser Attacke reist Yasuyoshi Chiba in den Sudan.
Der japanische Fotograf arbeitet für Agence France-Presse (AFP). Er lebt und arbeitet Nairobi/Kenia. Seit 2016 ist er für die Agentur als Cheffotograf für Ostafrika tätig.
Lichter in der Dunkelheit
Als er ankommt, so Chiba, sind die Straßen leer, die Demonstranten haben sich verlaufen. Seit dem Angriff auf die Zivilisten ist das Internet abgestellt. „In einer Nacht gingen meine Kollegen und ich in eine Wohngegend, in der Oppositionsführer ein Treffen mit den Menschen veranstalteten, um ihnen Neuigkeiten mitzuteilen“, erinnert sich der erfahrene Fotograf. Auf einem dunklen Platz, nur schwach beleuchtet mit Handy-Lampen, trifft er auf verbliebene Protestler. Menschen, die nicht aufgehört haben, für ihre Überzeugungen einzustehen. Im Schein dieser Lichter steht ein junger Mann – und rezitiert ein Gedicht. In den Atempausen rufen die Umherstehenden laut „thawra“: Revolution.
Die besondere Atmosphäre dieses friedlichen Protests hat Chiba mit seinem Bild „Straight Voice“ eingefangen. „Ich habe den unerschütterlichen Willen eines Volkes miterlebt, ein Wille, der durch Gewalt nicht gebrochen werden kann. Ich bin froh, dass ich an jenem Tag dort war, denn es war ein Glücksfall“, berichtet er. Wenige Wochen, nachdem er das Foto geschossen hat, kommt es endlich zu einer Einigung zwischen Militärrat und Opposition.
Übergreifende Inspiration
„Straight Voice“ ist dabei nicht nur ein Abbild der Proteste im Sudan, sondern auch Sinnbild für alle Menschen, die sich für ihre Überzeugungen einsetzen. Es zeigt, mit welcher Kraft sie für ihre Ansichten einstehen. Wie sie nicht zurückschrecken, klein beigeben oder sich mit der Situation abfinden. Weltweit werden es mehr und weltweit kämpfen sie Tag für Tag – ohne Gewalt. Und das nicht nur für mehr Demokratie und Mitwirkung, sondern auch gegen Rassismus, Polizeigewalt und soziale Ungleichheit.
Die Jury des World-Press-Photo-Wettbewerbs hat Yasuyoshi Chibas Aufnahme mit dem gewichtigen Titel „Pressefoto des Jahres“ ausgezeichnet. „Vor allem in diesen Zeiten, in denen wir viel Gewalt und viele Konflikte erleben, ist es wichtig, dass wir ein Bild haben, das Menschen inspiriert“, sagt der Jury-Vorsitzende Lekgetho Makola. Außerdem, so fügt Juror Chris McGrath hinzu, handele es sich um ein „sehr schönes, ruhiges Foto, das all die Unruhe auf der Welt und das Verlangen der Menschen nach Veränderung zusammenfasst”.
Willenskraft und Hoffnung
Bis das Siegerfoto von Yasuyoshi Chiba im Februar 2021 im Oldenburger Schloss ausgestellt wird, hat sich die Situation im Sudan hoffentlich weiter gefestigt. In anderen Ländern werden die Proteste anhalten und neue entstehen, doch das diesjährige Siegerfoto zeigt Protestierenden auf der ganzen Welt, wie stark Menschen sein können, die Willenskraft und Hoffnung einsetzen – und keine Gewalt.
Autorin: Anna Blanke